Roman von Meg Wolitzer:Ohne Sahne und Sensation

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"Schatz, das könnte dir gefallen": die amerikanische Bestseller-Autorin Meg Wolitzer. (Foto: Nina Subin)

Die leise Tragik der Familienbande: Meg Wolitzers zweiter Roman "Das ist dein Leben" aus dem Jahr 1989 ist in deutscher Übersetzung erschienen.

Von Marlene Knobloch

2012 veröffentlichte Meg Wolitzer in der New York Times einen viel beachteten Essay über "das zweite Regal". In jenes "zweite Regal" würden mit feinem Lächeln Bücher von Autorinnen einsortiert, die sich knapp und schlank halten, die nicht in die Breite gehen wie ein David Foster Wallace, aber auch nicht zu dünn und mager sind, wie es sich ein Julian Barnes oder Ian McEwan erlauben können. Um Missverständnissen vorzubeugen, wickle man die Frauenliteratur in rosa Einbände mit Eheringmotiven und femininen Illustrationen.

Das Problem, das Wolitzer beanstandet, reicht natürlich über das Marketing von Buchhandlungen hinaus. Das "zweite Regal" steht in ihrem Text für die strukturelle Stigmatisierung weiblichen Schreibens, die auch sie selbst zu spüren bekommt. Auf Amazon ist sie als "Frauenliteratur" klassifiziert, und auf Partys holten Männer bei Gesprächen über Wolitzers literarische Themen ("manchmal Ehe", "Familie", "Sex", "Sehnsucht", "Eltern", "Kinder") ihre Ehefrauen hinzu mit den Worten, "Schau Schatz, das könnte dir gefallen".

Auf Deutsch ist jetzt Wolitzers Roman "Das ist dein Leben" erschienen, den sie im Original schon 1989 veröffentlicht hat und damit lange vor dem viel diskutierten Essay. Es ist der zweite von inzwischen 13 Romanen der amerikanischen Bestsellerautorin. Mit einem kurzen Blick auf den Klappentext wäre auch dieses Buch der ideale Kandidat, um als "Chick-Lit", als niedrigschwellige Frauenliteratur belächelt zu werden.

Die berühmte Mutter schwebt über den Töchtern wie ein Zeppelin

Die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter und deren zwei Töchtern, die mit Gewichtsproblemen, Bindungsängsten und toxischen Beziehungen zu kämpfen haben, läuft mit offenen Armen auf jenes zweite Regal zu, bereit, mit Schleifen und Sahne verziert zu werden. Der Roman erzählt ausführlich vom Innenleben dreier Frauen und dem verflixten Familienkleister, mit dem die zwei Töchter Erica und Opal und ihre Mutter Dottie miteinander verpappt sind und der sie dazu verdammt, irgendwie miteinander durchs Leben zu kommen.

Dieses Leben bestimmt zunächst die berühmte, wuchtige Mutter. Dottie Engels ist in den Siebzigern eine Comedy-Berühmtheit, die Witze über ihr Übergewicht macht und ihr Repertoire selbstbissig aus ihren Pfunden destilliert. Sie tritt in den wichtigsten Fernsehshows auf, ihr Name leuchtet auf Reklametafeln in Las Vegas. Für ihre Töchter ist sie ein Zeppelin, der immer über ihnen und der restlichen Welt schwebt, auch wenn sie sich die meiste Zeit auf der anderen Seite Amerikas befindet, während verschiedene Babysitter auf die zwei Teenager aufpassen.

Die missgelaunte Erica ist das Klischee einer Teenagerin, die niemand mag und die niemanden mag. Ihre Schwester Opal ist die jüngere, hübsche, beliebte Antipodin und ihre Mutter das Klischee einer schwer beschäftigten, erfolgreichen Berühmtheit, die auch mal Witze auf Kosten ihrer Kinder macht.

Im zweiten Teil entfalten die Figuren ihr tragisches Potenzial

Schon auf den ersten zwei Seiten zeigt sich die feine Komik dieses Romans: Die zwei Schwestern teilen das Hobby, gemeinsam zu hyperventilieren, bis die ältere plötzlich Wichtigeres zu tun hat, als sich in Ohnmacht zu hecheln. Sie richtet ihr Zimmer esoterisch ein und unterstützt aus Versehen bei einem Kauf von Räucherstäbchen ein Unternehmen, dass sich den "Kampf gegen den Aufstieg des Weltjudentums" auf die Fahnen geschrieben hat, was sie nur kurz erschrecken lässt, das Räucherstäbchen brennt trotzdem.

Während sich die Abgründe der Charaktere im ersten Teil nur leise ankündigen, brechen sie im zweiten Teil auf, jetzt entblößen die Figuren ihr tragisches Potenzial. Dabei scheitern die drei Frauen langsam und leise, ohne Sensation. Ein Knacks, kein Bruch.

Erica kann die Witze ihrer Mutter nicht mehr hören und geht eine lieblose, aber sexreiche Beziehung mit einem Mitschüler ein. Die jüngere Tochter Opal hängt so sehr an der Mattscheibe und den Lippen ihrer Mutter, dass sie sich irgendwann nicht mehr auf ihr Studium in Yale konzentrieren kann. Trotzdem schlachtet Wolitzer das nicht als Tragödie aus, sondern lässt verständnisvolle Zimmergenossinnen und Studiendekane auftreten.

Familie ist tragisch, weil sie unvermeidbar ist

Und obwohl Erica mit jenem lieblosen Highschool-Freund später in ein Kakerlakenloch zieht, er Drogendealer und davon eben auch kein besserer Mensch wird, bleibt sie eine selbstbestimmte Figur, die absehbar irgendwann ihre Sachen packt und geht. Zu keinem Zeitpunkt im Buch ist Erica für immer verloren, auch Opals Studienplatz in Yale bleibt und mit ihm eine Perspektive.

Wolitzers Verzicht auf dramatische Handlungsumschläge wirkt in diesem Roman selbstbewusst. Hier fährt niemand mit Vollgas sein Leben an die Wand, es schrammt eher sehr lang an der Seitenplanke und tut trotzdem weh. Die leise Tragik funktioniert.

Als Erica und ihre Schwester Opal sich über ein Walkie-Talkie unterhalten, will sich Opal statt mit "Over and Out" lieber mit "Over and Over" von Erica verabschieden. Das bedeute nämlich, dass die Gespräche mit ihrer Schwester nie wirklich zu Ende wären. Es ist diese Sehnsucht aller drei Figuren nach der Verbindung zueinander, die das Buch zu einer genauen Beobachtung dieses verflixten Familienbandes macht.

Nicht zuletzt macht es klar, wie wenig die Themen "Sehnsucht" und "Familie", mit denen sich Wolitzers Romane gern beschäftigten, spezifisch weibliche Themen sind. Sie braucht keinen feministischen Fingerzeig, um sich aus Banalitäts- und Chick-Lit-Vorwürfen zu befreien. Es reicht der Blick auf das tragische Potenzial der Familie.

Meg Wolitzer: Das ist dein Leben. Aus dem Englischen von Michaela Grabinger. Dumont, Köln, 2020, 384 Seiten, 24 Euro.

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