Mediaplayer:Schmatzen und Klicken

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Food Porn: In Korea schaut man anderen gerne im Internet beim großen Fressen zu. Die Portionen sind wahnwitzig groß, das Interesse auf Youtube auch.

Von Philipp Stadelmaier

Vor der jungen Koreanerin, Künstlername Diva, stehen eine Schale mit frittierten Hähnchenteilen und zwei große Pfannen. In der einen blubbern in einem roten Sud Nudeln, in der anderen drei große Oktopusse. Die nächsten zweieinhalb Stunden wird Diva damit verbringen, das alles aufzuessen; runtergespült mit literweise Pepsi. Im Hintergrund sitzt ein großes Plüschtier, aufmunternd grinsend.

Dieses Video, das auf Youtube auf dem Kanal von TV Diva zu finden ist und mehr als eineinhalb Millionen mal aufgerufen wurde, ist exemplarisch für einen Internettrend, der in Südkorea seit einigen Jahren unter dem Namen Mok-Bang (auch Muk-Bang oder Meokbang) bekannt ist. Die Kombination aus Mok und Bang heißt so viel wie "essen" und "senden". Zumeist sind es junge Frauen, die sich beim Essen filmen; das ganze wird live gestreamt. Die Zuschauer chatten mit ihnen und die Esserinnen antworten direkt - eine Tischunterhaltung übers Internet.

In Südkorea ist Muk-Bang ein Riesenerfolg. Immer mehr Koreaner, die alleine leben, schauen beim Abendessen solchen Live-Streamern beim Essen zu, um etwas Gesellschaft zu haben. Hunderttausende sehen diese Videos, manchmal Millionen. Plattformen wie Afreeca TV bieten den Essstars dafür eine Form der Monetarisierung an. Diva hat zeitweise fünfstellige Beträge im Monat verdient.

Der Wahnwitz von Mok-Bang liegt in der Größe der Portionen, die von den Food-Artists verdrückt werden: Zwei Pizzen, dreißig Eier, fünf Pakete Fertignudeln, ein Dutzend Frikadellen, drei große Schweinesuppen - geht alles. Die Futterer leisten nicht nur den Einsamen Beistand, sie verputzen Mengen, die für eine Großfamilie reichen würden. Sie essen also in jedem Sinne für viele.

Ein anderer Aspekt des Vielfressens kommt bei einer Akteurin namens Dorothy zum Vorschein. Über vierhundert Videos hat sie auf ihrem Youtube-Kanal und über achthunderttausend Follower. Die Portionen sind kleiner (aber immer noch stattlich) und die Videos kürzer als bei Diva, da die Herausforderung hier eher darin besteht, wie viel sie auf einmal in den Mund nehmen kann. Unter ihren jüngeren Beiträgen lässt sich dies anhand einer Episode nachvollziehen, in der es Dorothy mit "Meatball Spaghettis" aufnimmt. Dahinter verbirgt sich eine Riesenportion Nudeln, in deren Mitte eine mit geschmolzenem Käse garnierte Frikadelle thront - als hätte jemand versucht, Pasta und Cheeseburger zusammenzuführen. Dorothy rollt mit der Gabel die Nudeln zu faustgroßen Portionen auf, die sie sich dann, garniert mit gewaltigen Happen der Käsefrikadelle, schlürfend in ihr pausbäckiges Gesicht schiebt. Man glaubt kaum, dass dies rein anatomisch ohne Weiteres funktionieren kann. Bei einem weiteren Ausflug in die italienische Cuisine kombiniert Dorothy Pizza und einen Tiefkühlpastaauflauf, wobei die Pizza teilweise als Teller für die Pasta zweckentfremdet wird; beides verschwindet in Rekordzeit in ihrem Magen. Legendär sind dann ihre Auseinandersetzungen mit einer riesigen Königskrabbe und einem Hummer. Dorothy filmt sich so, dass ihr Gesicht hinter den Tieren winzig erscheint. Weswegen es reichlich surreal wirkt, wenn sie mit der Schere die riesigen Schalentiere zerlegt und sie dann in großen Happen in kurzer Zeit gnadenlos wegputzt.

Mok-Bang ist als "Food Porn" bezeichnet worden, als appetitanregendes Filmen von Essen; einige sprechen von "Dinner Porn". Überhaupt folgt das Konzept dem Prinzip von Livecams in der Internetpornografie - außer, dass hier nicht zur Masturbation, sondern zum Essen angeregt werden soll. Aber wenn hier etwas fehlt, dann ist es Genuss. Egal, wie oft Dorothy ein aufmunterndes "Daumen hoch" in die Kamera macht - man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie bei dieser Völlerei einfach nur irgendetwas schmeckt.

"Das große Fressen", so hieß ein Film von Marco Ferreri aus den Siebzigern, in dem sich eine Gruppe von Freunden in einem Landgut traf, um sich zu Tode zu fressen. Bei Ferreri standen Dekadenz und Genuss bis zum Umfallen auf dem Speiseplan. Das war Kino. Diva und Dorothy - das ist Internet. Das viele Essen erzählt auch von den vielen Bildern, mit denen wir heute leben und die wir tagtäglich verschlingen. Und sie stellen infrage, wie wir sie überhaupt noch genießen können.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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