Mediaplayer:Das wandelnde Weinfass

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Gérard Depardieu spielt in "Bon Voyage, ihr Idioten" einen dicken Dorftrottel, der den Nazis geopfert werden soll. Immerhin kann er sich noch auf seinen Geschäftssinn verlassen.

Von Philipp Bovermann

Wenn man sich bereits vom Titel eines Films beleidigen lassen muss, ist das normalerweise kein gutes Zeichen. Bei "Bon Voyage, ihr Idioten!" wird es aber interessant, wenn man sich vorstellt, dass es Gérard Depardieu ist, der einem diesen Spruch angesoffen entgegenlallt. Frankreichs berühmtestes Weinfass hat sich bekanntermaßen seit einigen Jahren aufs Dick- und Altwerden spezialisiert, auch bei seinen Rollen. Einen vorläufigen, grotesken Höhepunkt findet dieses Alterswerk nun eben in der Komödie "Bon Voyage, ihr Idioten" des rumänischen Regisseurs Bogdan Dumitrescu.

Depardieu spielt Ipu, den fetten Dorftrottel, der seine Zeit am liebsten damit verbringt, fischen zu gehen, zu saufen und die Marseillaise zu hören - die XXL-Karikatur eines französischen Lebemanns. Er tut das weit weg von zu Hause, in Rumänien, wo er sich im Ersten Weltkrieg eine Kugel im Kopf eingefangen hat. Seitdem reicht sein Verstand nicht viel weiter als seine Angel, aber er trägt im schweren Leib ein großes Herz. Deshalb hat ihn die örtliche Dorfgemeinschaft bei sich aufgenommen. Unterdessen ist ein neuer Weltkrieg über das Land hereingebrochen und mit ihm die deutschen Besatzer.

Ipu scheint davon nicht viel mitzubekommen. Schließlich könnte auch alles so schön und einfach sein: Es ist Sommer, der Wind wiegt den Weizen, die Bauern fahren das Heu aus. Nur im Feld liegt ein toter Friedrich, jemand hat ihm den Hals durchgeschnitten. Das ist natürlich ein Riesenproblem. Der Nazi-Hauptmann verkündet: Wenn der Täter sich nicht stellt, wird er die zehn obersten Würdenträger des Dorfes hinrichten. Nein, Ipu war es natürlich nicht. Aber weil vom Täter jede Spur fehlt, fangen die Würdenträger an zu grübeln. Es müsste sich jemand zu dem Mord bekennen. Vielleicht jemand, der sowieso schon immer der Depp war. Also wird ein großes Essen ausgerichtet, um dem Dickerchen den Heldentod schmackhaft zu machen.

Schaut man den Film ein wenig gegen den Strich, enthüllt sich die Handlung als politische Allegorie. Der polternde, mit Putin befreundete Weingutbesitzer Depardieu ist dort angekommen, wo sich jene Teile der französischen Landbevölkerung, die ihr Kreuz bei Le Pen gemacht haben, ohnehin längst wähnen: in Rumänien. Für historische und kulturelle Spitzfindigkeiten interessiert sich der auf Englisch gedrehte Film so wenig, dass sich das angebliche Balkan-Dörfchen ebenso gut in der Provence befinden könnte.

Während Ipu schmaust und schmatzt und den Schnaps direkt aus der Flasche kippt, kommt irgendwas in ihm langsam auf Betriebstemperatur: Er wird zum Dealmaker. Zumindest die Seinen will er noch versorgt sehen. Also schwatzt er dem Bürgermeister, dem Arzt, dem Notar und dem Pfaffen, den übrigens Harvey Keitel spielt, als Bedingung für die Selbstauslieferung Land und Geld ab. Er lässt es sich schriftlich geben. Die Herren unterzeichnen, grimmig staunend. Zumindest Ipus Geschäftssinn scheint noch zu funktionieren.

Außerdem bringt er das Zeremoniell des Todes gehörig durcheinander. Um sich das versprochene Heldenbegräbnis schon mal vorstellen zu können, fordert er einen Probelauf. Bis dahin dämmert der Film gemächlich wie ein langer Sommernachmittag vor sich hin, nun nimmt er richtig Fahrt auf: Der dicke Gérard, der mal ein richtig großer Schauspieler war und es manchmal noch ist, wenn auch nicht hier, liegt vor Wonne grunzend in einem extrabreiten Loch. Von oben schmeißen die Leute Erde und Blumen. Harvey Keitel als Pfarrer liest dazu zähneknirschend die Messe.

Während des Festessens geht es darum, dass Ipus Gesicht in den Grabstein gemeißelt werden soll. "So, wie du aussahst, als du jung warst!" Ipu stutzt: "Und wie hab ich ausgesehen, als ich jung war?" Die Frau des Bürgermeisters sagt, er habe "sehr, sehr hübsch ausgesehen". Depardieu macht dazu ein Gesicht, das man tatsächlich meißeln möchte. Aber eventuell nicht in seinen Grabstein. Er schweigt. Er ist verwirrt. Dann stellt er sein Glas so unbeholfen auf der Tafel ab, dass es in seinen Pranken zerspringt und der Schnaps ins weiße Tischtuch sickert.

Bon Voyage, ihr Idioten! erscheint am 23. Juni auf DVD und Blu-Ray und ist bereits jetzt als Video-on-Demand verfügbar.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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