Media Player:Volle Energie

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Für seine Musikdoku "Junun" reist Arthouse-Liebling Paul Thomas Anderson nach Indien.

Von Tobias Sedlmaier

Die Ankündigung eines neuen Films von Paul Thomas Anderson in der vergangenen Woche sorgte gleich in zweifacher Hinsicht für eine Überraschung. Der Arthouse-Liebling ist dafür bekannt, in Überlänge seine Geschichten vom menschlichen Wahnsinn auszuwalzen, in breit angelegten Epen dem Exzess zu frönen. Größenwahnsinnige Ölbarone ("There Will Be Blood") oder Sektengurus ("The Master") sind seine Sache oder auch mal minderbemittelte Kifferermittler ("Inherent Vice"). Es geht ums große Ganze, die Tragödie, den Sinn und Irrsinn der menschlichen Existenz. Um Eifer und Kontrolle, Freiheit, Gier, Aufstieg und Fall.

Nicht so in "Junun", einer nicht einmal eine Stunde dauernden Musik-Dokumentation über das Treffen des israelischen Komponisten Shye Ben Tzur mit Jonny Greenwood, dem Radiohead-Gitarristen, und diversen indischen Musikern. Der Film wird nicht in den Kinos zu sehen sein, denn - das ist die zweite Besonderheit: Die Ausstrahlungsrechte nach der Premierenvorstellung am 8. Oktober auf dem New York Film Festival hat sich die Streamingplattform Mubi gesichert.

Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood spielt in der Mehrangarh-Festung. (Foto: Mubi)

Jenseits der Giganten Netflix und Amazon bemüht sich der Anbieter, der anfangs noch unter dem vielsagenden Namen "The Auteurs" firmierte, um eine feine, zum Teil exklusive Auswahl von internationalen Independentfilmen und Klassikern. Regisseur Anderson, selbst ein Fan von Mubi, fügt sich sehr gut in dieses Konzept ein: Seine erste Zusammenarbeit mit einem Video-on-Demand-Anbieter und dazu noch sein erster Dokumentarfilm. Wobei diese Bezeichnung hier nicht ganz zutrifft, zumindest nicht im konventionellen Sinne. "Junun", was auf Hindi ungefähr so viel bedeutet wie Obsession, ist ein Experiment, dessen Form sich dem Inhalt anpasst und das seinen Enthusiasmus über das, was da passiert, nie verhehlt. Eine außergewöhnliche Musiksession wird mit außergewöhnlicher Stilsicherheit wiedergegeben.

In der Mehrangarh-Festung im nordwestindischen Jodhpur, die der dortige Maharadscha zur Verfügung gestellt hat, begegnen sich im Frühjahr 2015 Musiker unterschiedlicher Herkunft, um ein Album aufzunehmen: Shye Ben Tzur, die Mitglieder der indischen Band Rajasthan Express und eben der Gitarrist der englischen Band Radiohead Jonny Greenwood. Letzterer ein alter Bekannter und Anderson-Kollaborateur - er komponierte für dessen letzte drei Filme die Musik. Bis zum Abspann wird nicht gesagt, wer da wer ist in diesem unüblichem Aufeinandertreffen an exotischer Stätte. Generell wird nahezu nichts erklärt oder kommentiert, Dialoge sind so sorgsam ausgewählt wie kostbare Vögel. Für Anderson steht die Musik im Mittelpunkt, das Spiel- und Hörerlebnis einer mitreißenden Verbindung aus traditioneller indischer Musik und westlichen Einflüssen. Kein Schnickschnack, keine Allüren. Man lauscht einem Probenkonzert, dessen Stücke nicht unterbrochen und zerhackt werden durch störende Nebengeräusche, sondern ausklingen dürfen, bis der letzte Ton verhallt ist und die Streicherhand nicht mehr zittert. Das scheint unspektakulär, doch ist gerade diese souveräne Beiläufigkeit wohltuend.

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Wie in seinen Spielfilmen auch zeigt sich in "Junun" die Meisterschaft der Anderson'schen Kameraführung, die nie überkonstruiert wirkt und doch so präzise ist. Die ruhigen Bewegungen, deren klares Konzept eine einzigartig elegante Bildsprache formt. Gleich zu Beginn des Filmes blitzt so ein kleines Highlight auf, eine mehrminütige 360°-Kamerafahrt um die im Kreis sitzenden, Trommel und Trompete spielenden Musiker, deren Zusammenwirken im Kollektiv so unterstrichen wird. Manchmal fallen die Blicke nach draußen, auch mal über die Fenster hinweg bis zu einem kurzen Einkaufstrip in die Stadt, aber das sind nur Atempausen, in einem Film, den die eigene Begeisterung treibt. Natürlich kann es in einer knapp vierhundert Jahre alten Festungsanlage auch zu Stromausfällen oder anderen Kalamitäten kommen. Das tut der konzentrierten Begeisterung jedoch keinen Abbruch, wie einer der Teilnehmer versichert: "Keine Toilette, keine Dusche, aber volle Energie!"

Junun ist als Stream in der Online-Videothek Mubi erhältlich.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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