Media Player:Land in Angst

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So nah, so direkt, so blutig hat man den Drogenkrieg in Mexiko noch nie gesehen. Die Doku "Cartel Land" von Matthew Heineman ist ohne Furcht und Bedenken auf allen Seiten dabei, bei den Schusswechseln wie bei den Beerdigungen.

Von Jörg Häntzschel

So nah, so direkt hat wohl kaum je einer den mexikanischen Drogenkrieg gezeigt. In Matthew Heinemans "Cartel Land" kann der Zuschauer nicht fliehen, wenn Kugeln durchs Bild pfeifen und blutüberströmte Leichen am Boden liegen. Er kann nicht weghören, wenn Gefolterte vor Schmerzen schreien, und nicht wegsehen, wenn Töchter hysterisch kreischen, während ihre Väter verhaftet werden.

Wir sind im mexikanischen Bundesstaat Michoacán, wo das Templer-Kartell Köpfe abschneidet und ganze Familien auslöscht. Die Soldaten der Regierung stehen tatenlos daneben, bewaffnet mit Gewehren und wie Mumien in Schutzuniformen verpackt. Die Politiker lächeln und schütteln Hände. Irgendwann hat José Mireles, ein angesehener und charismatischer Arzt, genug vom Terror und gründet mit anderen rechtschaffenen Kleinstadt-Männern die Autodefensas, eine Bürgermiliz, die den Kampf selbst in die Hand nimmt.

Nördlich der Grenze sieht die Sache kaum besser aus. Gut organisierte Schmugglerbanden schleppen das Gift, das sie im Süden fabrizieren, in die USA. "Wir wissen, dass wir den Leuten schaden", sagt einer, während er in den dampfenden Meth-Bottichen rührt. "Aber was sollen wir machen? Wir sind arm!"

Tim Foley, der sich "Nailer", seinen nom de guerre, auf die Privatuniform sticken ließ, lässt sich durch solche Rechtfertigungen nicht erweichen. Der ledrige Ex-Trinker, Ex-Junkie, Ex-Obdachlose, der als Kind missbraucht wurde und bei einem Unfall fast starb, hat jetzt die Bestimmung seines Lebens gefunden: Auch er hat eine Bürgerwehr gegründet, die "Arizona Border Recon", und mit der macht er Jagd auf Drogenschmuggler.

Regisseur Heineman pendelt nun von den einen zu den anderen, immer der schmissigen und seit Jahren von Hardlinern in den USA wiederholten Hypothese folgend, dass der Drogenkrieg auf beiden Seiten der Grenze wüte, und dass die Politik nicht den Mut habe, ihn zu stoppen. Den Bürgern bleibe nichts übrig, als selbst zu den Waffen zu greifen.

Die Geschichte, die Heineman erzählt, ist so packend wie komplex. Anfangs erobert Mereles' Miliz Dorf für Dorf zurück. Dann jedoch wird der Arzt bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz verletzt. Die Kontrolle über seine Grassroots-Organisation entgleitet ihm. Berauscht vom eigenen Erfolg und vom Hass auf die Killer des Kartells übernehmen seine Leute die Mittel der Feinde: sie töten, plündern, foltern, alles im Dienst der guten Sache. Sie werden selbst zu einem Kartell und lassen sich schließlich auch noch auf einen Pakt mit dem Staat ein. Im Tausch gegen pompösere Uniformen und bessere Waffen ordnen sie sich den korrupten Behörden unter, die sie zuvor bekämpft haben.

Mit dem Aufstieg und Fall von Mereles hätte Heineman mehr Stoff als genug gehabt. Zumal er nicht nur bei Schießereien und Verfolgungsjagden furchtlos draufhält, sondern auch bei den vielen intimen Szenen: den Begräbnissen, Festen, Kundgebungen. Doch der zweite Erzählstrang bringt seinen Film nahe ans Scheitern. Tim Foleys Tiraden gegen Illegale und Schmuggler müssen Handlung ersetzen. Während die Menschen im Süden um ihr Leben fürchten, muss sich Foley erst von Fox News einreden lassen, wie groß die Gefahr ist. Er und die anderen Rednecks stapfen durch die Wüste, bis sie endlich ein paar verängstigte Mexikaner auftun, die allerdings keine Drogen dabeihaben, sondern nur Träume von einem besseren Leben.

Mitten im Drogenkrieg: die Dokumentation "Cartel Land". (Foto: DCM)

Dass es sich bei "Arizona Border Recon" um eine weit jenseits der Verfassung angesiedelte Extremistengruppe handelt, wird kurz erwähnt. Seine sonstigen politischen Ansichten hat Heineman aber lieber ausgeblendet. Sonst hätte er einen seiner beiden Protagonisten für diesen Film disqualifiziert. Heineman war angetreten, um Sympathie für die Vigilante-Gruppen zu werben, stattdessen demonstriert "Cartel Land" deren Schwäche und Gefährlichkeit. Der Film widerlegt sich selbst - doch Heineman gesteht das weder den Zuschauern noch sich selbst ein.

Cartel Land ist ab 6. Oktober als Video on Demand unter anderem bei Maxdome, iTunes, Google Play und Amazon erhältlich und wird im Lauf des Monats in ausgewählten Kinos gezeigt.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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