Karl Marx und Friedrich Engels als Journalisten während der Revolution:Zwei Souveräne

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"Wir erwarten alles von den Kollisionen, die aus den ökonomischen Verhältnissen hervorgehen." - Marx (in der Mitte mit Zeitung) und Engels (neben Marx) bei der Arbeit in der "Neuen Rheinischen Zeitung" auf einem anonymen Ölbild aus dem Jahr 1849. (Foto: Public Domain)

Warum Karl Marx und Friedrich Engels während der Revolution 1848/49 als Journalisten in Köln nicht für das Proletariat, sondern für das liberale Bürgertum kämpften.

Von Jens Grandt

Nichts ist so interessant wie die Zeitung von vorgestern. Der Verlag de Gruyter hat den zweiten von drei Bänden mit Beiträgen herausgebracht, die Karl Marx, "Redakteur en chef", und Friedrich Engels vor allem für die in Köln ansässige Neue Rheinische Zeitung während der deutschen Revolution 1848/49 geschrieben haben. Die nun vorliegenden Texte fallen in die Zeit von Oktober 1848 bis zu den preußischen Parlamentswahlen im Februar 1849.

Die Situation war angespannt, auf der Worringer Heide in der Nähe von Köln hatte die wahrscheinlich größte rheinpreußische Kundgebung der Revolutionszeit stattgefunden. Fast 10 000 Teilnehmer bekannten sich "für die Republik, und zwar für die demokratisch-soziale, für die rothe Republik", wie es in der Neuen Rheinischen hieß. Sogar in Paris wurde darüber berichtet. Die Folge war eine Verhaftungswelle. Unter anderem Friedrich Engels wurde steckbrieflich gesucht.

Zudem verbreitete sich die Nachricht von einem Truppenaufmarsch. Spontan wurden auf und um den Kölner Marktplatz Barrikaden errichtet. Die Obrigkeit rief den Belagerungszustand aus. Die Bürgerwehr wurde entwaffnet. Der Justizminister ordnete strafrechtliche Untersuchungen gegen die Zeitung an; sie musste ihr Erscheinen zeitweilig einstellen.

Entschieden war aber noch längst nichts. In Berlin tagte die von den (männlichen) Bürgern gewählte Nationalversammlung, die eine Verfassung ausarbeiten sollte, sich aber nicht festzulegen vermochte, ob sie gemäß dem Prinzip der Volkssouveränität frei handlungsbefugt sei. Im Artikel "Die Berliner Krisis" umreißt Karl Marx in klaren Sätzen den Konflikt: Einerseits der König auf der Grundlage seiner "angestammten gottesgnadlichen Rechte". Auf der anderen Seite die "Nationalversammlung auf gar keiner Grundlage, sie soll (sich) erst konstituiren, Grund legen. Zwei Souveräne!" Als Mittelglied die Vereinbarungspolitik des Ministeriums Camphausen gegenüber der Krone. "Sobald die beiden Souveräne sich nicht mehr vereinbaren können oder wollen, verwandlen sie sich in zwei feindliche Souveräne." Die Revolution stand auf der Kippe.

Die deutsche Bourgeoisie hat für Marx eine revolutionäre Aufgabe

Als die Zeitung Mitte Oktober 1848 wieder erscheinen konnte, gelang es ihr, ihr Ansehen deutlich zu steigern. Zuletzt hatte sie eine für damalige Verhältnisse stattliche Auflage von 5600 Exemplaren und war ein deutschlandweit gelesenes Blatt. Dazu kamen Beilagen und Extrablätter. Im neuen Band finden sich mehr als 150 Texte, zumeist Zeitungsartikel, aber auch die Verteidigungsreden von Marx und Engels vor dem Kölner Geschworenengericht und das Fragment des Reiseberichts "Von Paris nach Bern", amüsante Beobachtungen und Reflexionen, die einmal mehr Friedrich Engels' feuilletonistisches Talent bezeugen.

Historisch und ideengeschichtlich überraschend ist allerdings vor allem, dass Marx in dieser Phase nicht die vorpreschenden Arbeiter unterstützt, sondern - bislang wenig beachtet - entschieden für das liberale Bürgertum Partei ergreift. Für ihn hat die deutsche Bourgeoisie eine revolutionäre Aufgabe. Sie müsse aufgrund "ihrer veränderten Bedürfnisse" eine "ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechende politische Stellung erzwingen". In seinem politischen Agieren im Kreisausschuss der rheinpreußischen Demokraten und in den Artikeln versuchte er entsprechend, deren Position zu stärken.

Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Artikel, Entwürfe Oktober 1848 bis Februar 1849. Bearbeitet von Jürgen Herres und François Melis. De Gruyter, Berlin 2020. 1228 Seiten, 190 Euro. (Foto: De Gruyter Akademie Forschung)

Von den sogenannten Märzministerien allerdings, die sich ein "liberalbürgerliches Gewand der Contrerevolution umgeworfen" haben, werden Marx und Engels von Anfang an enttäuscht. Einer ihrer Hauptkritikpunkte ist die "Vereinbarungstheorie" des Ministeriums Ludwig Camphausen, der zufolge sich die verfassungsgebende Versammlung mit der Monarchie "vereinbaren" sollte. Alle folgenden Ministerien übertrafen sich in ihrer Unterwürfigkeit vor den Altären der feudalen "Kamarilla" - aus Angst vor einem konsequenten Vollzug der Revolution und den sozialen Forderungen der Kleinbürger wie der Arbeiterschaft. Die zur Machtübernahme prädestinierte "große" Bourgeoisie habe "keine Hand gerührt". "Träg, feig" habe sie "dem Volke erlaubt, sich für sie zu schlagen", schreibt Marx.

In all diesen sich überlagernden, für viele undurchsichtigen Prozessen bleiben Marx und Engels letztlich engagiert unparteiisch. "Wir haben wiederholt erklärt, daß wir kein 'parlamentarisches' Blatt sind und uns daher nicht scheuen, von Zeit zu Zeit den Zorn selbst der äußersten Linken von Berlin und Frankfurt auf unser Haupt zu ziehen", betont Marx in einem Leitartikel. "Wir erwarten alles von den Kollisionen, die aus den ökonomischen Verhältnissen hervorgehen." Deshalb sehen sie in den auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts zusammengesetzten Nationalversammlungen, trotz deren Wankelmütigkeit, die rechtmäßige Konstituante. Man muss dabei bedenken, dass Marx und Engels westeuropäisch sozialisiert sind. In der kompromisslosen Ermächtigung der Bourgeoisie wie in England und Frankreich sehen sie die einzig zeitgemäße Chance für eine moderne Entwicklung der deutschen Teilstaaten. Um später auf dieser Basis eine soziale Revolution zu schaffen.

Am selben Tag, an dem der Artikel "Die Berliner Krisis" erscheint, am 9. November 1848, verfügt König Friedrich Wilhelm IV., dass die preußische Nationalversammlung vertagt und nach Brandenburg verlegt wird. Unter General Wrangel rücken 15 000 Soldaten in die Hauptstadt ein, Belagerungszustand und Kriegsrecht werden erklärt. Weil sich die Parlamentarier weigern, in die Provinz zu ziehen, wird die "Vereinbarerversammlung" am 5. Dezember aufgelöst, und die Monarchie verfügt eine Verfassung nach eigenem Gusto. Ein Coup.

Es folgte umgehend eine Anklage wegen Hochverrats

Daraufhin bezichtigen die Berliner Abgeordneten das Ministerium des vom König eingesetzten Grafen Brandenburg des Hochverrats gegenüber der gewählten "Regierung der Nationalversammlung". Sie rufen die Bevölkerung auf, keine Steuern mehr zu zahlen. Marx und Engels veröffentlichen diesen Beschluss, und die rheinischen Demokraten setzten noch eins drauf: Die gewaltsame Eintreibung von Steuern sei "überall durch jede Art des Widerstandes zurückzuweisen". Das brachte der Zeitung umgehend eine Anklage wegen Hochverrats ein.

Das Gerichtsverfahren fand am 8. Februar 1849 statt. Marx versteht es in seiner Verteidigungsrede, nicht nur die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen die gewählte Volksvertretung zu widerlegen, sondern seine gesamte Gesellschaftstheorie des Epochenwechsels darzulegen. Der Kampf zwischen Krone und Volk sei ein "Konflikt zweier Gesellschaften selbst", der "feudal büreaukratischen mit der modernen bürgerlichen". Die Geschworenen sprechen ihn und seine Mitangeklagten frei.

Während der Wahlen zum preußischen Parlament schrieb Marx glanzvolle Leitartikel, worin er die stets wörtlich zitierten Argumente der konstitutionell-monarchistischen Partei ad absurdum führte. Auch hier widerlegen die Dokumente ein bis zum heutigen Tag anhaltendes Missverständnis, nämlich dass er auf Wahlen nichts gegeben habe. Dabei wird Parlamentskritik mit Antiparlamentarismus verwechselt. Und wieder setzt er sich für die liberale ("kleine") Bourgeoisie und den Mittelstand ein.

Selbstverständlich hatte die Neue Rheinische Zeitung nicht nur die deutschen Verhältnisse im Blick. Sie berichtete ausgiebig über die Aufstände in Wien, in Ungarn, Engels über die italienische Revolution und die Transformation des Schweizerischen Staatenbundes in einen Bundesstaat. Es finden sich sogar Betrachtungen über die Wirtschaft in Belgien, das Kreditsystem in Frankreich oder über den Panslawismus. Insbesondere die mit allerlei historischen und literarischen Anspielungen gespickten Artikel des damals gerade 30-jährigen Marx lesen sich dabei auch für heutige Leser noch sehr schwungvoll. Es ist auch und gerade heute, da politisch und gesellschaftlich auch vieles ganz neu ausgehandelt werden muss, höchst anregend, sich darin zu vertiefen.

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