Markenstrategien im Umbruch:Leitfaden für eine humanere Ökonomie

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Wenn Weltanschauung zum Alleinstellungsmerkmal wird: Seit 250 Jahren versuchen Unternehmen sich von der Konkurrenz durch Markenbildung abzuheben. Mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke und ihrer Kultur des Teilens müssen Marken nun plötzlich Moral und Sinn produzieren. Menschliches Glück wird zum Produkt einer besseren Welt.

Tim Leberecht

Wenn sich die Wirtschafts- und Politikelite diese Woche unter dem Motto "The Great Transformation" zum Weltwirtschaftsforum in Davos trifft, bezieht sie sich auf Karl Polanyis Grundlagenwerk der Soziologie mit dem selben Titel. Polanyi beschrieb 1944 den grundlegenden Wandel, der sich im 19. und 20. Jahrhundert mit der Industrialisierung vollzog. Solch einen Wandel gibt es nun wieder. Und vor dem Hintergrund der Occupy-Bewegung, der Eurokrise und allgemeinen Sinnsuche des Kapitalismus ist die Debatte um die Transformation von Wirtschaft nicht nur für die Eliten dringlich.

Nur Kaffee war gestern: Hinter Starbucks und Co. steckt nun eine These (Foto: REUTERS)

In der Privatwirtschaft wird diese Debatte schon länger geführt, ist in vielen Punkten auch weiter als die Politik. Naomi Kleins Kapitalismuskritik "No Logo" griff 2000 das Herz der Wirtschaftswelt ganz direkt an - die Marken. Die müssen heute mehr bieten als clevere Logos und eine Erlebniswelt. Es geht um gesellschaftliche Relevanz, um Gemeinschaftsgefühle und um Ideale. Kurz - es geht um Bedeutung.

Der Wirtschaftsphilosoph John Hagel beschrieb das mit den Worten: "Die entscheidende Führungsaufgabe ist heute nicht mehr, Geld zu machen, sondern Bedeutung zu schaffen." Es geht also buchstäblich um die Produktion von Bedeutung.

Hinter Starbucks steckt mehr als nur Kaffee

Der Begriff für diese Produktion heißt "Meaningful Branding". Letztlich geht es immer noch um die klassischen Markentheorien. Die American Marketing Association definiert die Marke schlicht als "Name, Begriff, Symbol oder anderes Element, das ein Produkt oder eine Dienstleistung deutlich vom Mitbewerber unterscheidet". Solche Marken gibt es schon seit mehr als 250 Jahren.

Strategische Markenführung gehörte in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts zum Kern der Wirtschaftsphilosophien. Bald gehörten immer mehr Elemente zu dieser Strategie, so wie die Kundenerfahrung, die Unternehmenskultur und das Geschäftsgebahren.

Als erste Studien in den neunziger Jahren den Zusammenhang zwischen Kaufentscheidungen und der ethischen Integrität einer Marke nachwiesen, wurde die Marke nicht mehr nur als das Erscheinungsbild und das Bewusstsein einer Firma behandelt, sondern als ihr Gewissen. Mit dem Schlagwort der Corporate Social Responsibility wurden nun ganze Abteilungen für die Produktion von Bedeutung geschaffen. Von der "guten Marke" war es dann nur ein kleiner Schritt zur Weltanschauung als Alleinstellungsmerkmal.

In ihrem Buch "Cultural Strategy" argumentierten die Branding-Experten Douglas Holt und Douglas Cameron am Beispiel der Geschichten von Firmen wie Nike, Starbucks und Jack Daniels, dass Marken eine eigene Ideologie mit einer These vertreten sollten. Für Google wäre das zum Beispiel: "Die Welt ist lebenswerter, wenn alle Informationen jederzeit für alle Menschen verfügbar sind."

Kevin Roberts, Chef der Werbeagentur Saatchi & Saatchi prägte dann 2005 den Begriff "Love Marks", mit dem er Marken regelrecht romantische Qualitäten zusprach, wie das Geheimnis, die Sinnlichkeit und die Intimität. Die emotionale Markenbotschaft war geboren, die nicht nur auf vorübergehende Attraktivität aus war.

Mit der Allgegenwärtigkeit der sozialen Medien wird diese emotionalisierte Markenloyalität und die Glaubwürdigkeit, die ihr zu Grunde liegt, auf eine harte Probe gestellt. Wie das "Cluetrain Manifesto" einer Gruppe Autoren um den Harvard-Philosophen David Weinberger schon vor zehn Jahren voraussagte, ist die Marke in Zeiten der Forderungen nach radikaler Transparenz, der "Netizens" und der Dauerkonversation auf Blogs, Twitter und Facebook nun keine Botschaft mehr, sondern ein Dialog. Der aber findet mit den sozialen Medien rund um die Uhr statt.

Die Bedeutung einer Marke greift nun direkt an der Schnittstelle von sozialem Bewusstsein und sozialer Technologie, die von einer moralischen Ökonomie und einer Kultur des Teilens geprägt ist. Der Marktforschungsbericht Trendwatching Report beschreibt das als "Geben ist das neue Nehmen und Teilen ist das neue Geben".

Die Generation der Großzügigen

Es geht um die "Generation G", wobei das G für Großzügigkeit steht. Die hat genug von der Gier der Marktakteure und nutzt das Social Web, um zu teilen und zu kollaborieren. So entstehen Crowdsourcing-Projekte wie Wikipedia, aber auch Phänomene wie das Filesharing von Kulturprodukten. In dieser Wirtschaft des Teilens mit ihren immer komplexeren Beziehungsgeflechten, sind Empathie und soziale Intelligenz entscheidend für jede Form von Erfolg.

Weil soziale Medien aber nicht mehr als Vertriebswege funktionieren, sondern Designprinzipien geworden sind, ist Wertschöpfung ein kooperativer Akt geworden, der über Crowdsourcing und andere Interaktionen im sozialen Netz intellektuelle, emotionale und spirituelle Bedeutungen schafft.

Sogenannte "Meaningful Brands", sinnstiftende Marken, begreifen diese Bedeutungen als eine neue Dimension der Maslowschen Bedürfnispyramide, die über die materiellen Notwendigkeiten und die Selbstverwirklichung hinausgeht. Solche Marken handeln eben nicht nur moralisch, sie produzieren Moral. Durch Netzwerke, die Kooperation möglich machen, und durch die Pflege von Gemeinschaften schaffen sie immaterielles Kapital. Das ergibt eine Gleichung, die im "entzauberten" Kapitalismus Seltenheitswert hat: echte Werte für echten Wert, Glück als Anreiz und Bedeutung als Rendite.

Wenn Marken solche Bedeutung schaffen wollen, brauchen sie vier Elemente: Überraschung, Seltenheitswert, soziale Intelligenz und Transzendenz.

Die Überraschung durchbricht eingefahrene Denk- und Erfahrungsmuster. Bedeutung lebt aber auch von einem Seltenheitswert, der die Grundlage für das soziale Moment bildet, eine bedeutende Erfahrung mit anderen zu teilen. Die Transzendenz wiederum überhöht das Erlebnis des Einzelnen, indem es auf etwas hindeutet, das größer ist als der Einzelne oder die Marke. Gerade die Kollektive des arabischen Frühlings und der Occupy-Bewegung haben gezeigt, wie wichtig die Sinnstiftung einer solchen übergeordneten Bedeutung sein kann.

Sinnstiftende Marken engagieren sich als profitorientierte Aktivisten. Der selbsternannte "Philantrokapitalist" Richard Branson hat mit Virgin ein Firmenimperium geschaffen, dessen Marke längst nicht mehr an Produkten hängt.

Ähnlich operiert der amerikanische Schuh- und Bekleidungsvetrieb Zappos, der sich ganz der Bedeutungsproduktion verschrieben hat. Firmenchef Tony Hsieh schreibt in seinem Buch "Delivering Happiness", dass sich Zappos als Lieferant von Glücksmomenten versteht. Schuhe sind da nur ein Mittel zum Zweck.

Glücksfaktor Konsum

Und klassische Effizienz ist ein Anachronismus, der nicht immer zum Geschäftsmodell des Glücksmoments passt. Da rühmen sich die Mitarbeiter mit dem längsten Kundengespräch der Woche. Zappos-Mitarbeiter bekommen ein 480 Seiten starkes "Culture Book". Hsieh schreibt: "Wenn die Kultur stimmt, funktioniert alles andere automatisch."

Es ist kein Zufall, dass der Ruf nach Sinnstiftung im Kapitalismus mit Versuchen einhergeht, den gesellschaftlichen Beitrag der Wirtschaft mit neuen Kriterien wie Happiness-Indexen oder dem Bruttosozialglück zu messen.

Wenn die Harvard Business Review in ihrer jüngsten Ausgabe das Glücklichsein von Kunden und Mitarbeitern zum unternehmerischen Erfolgskriterium erklärt, ist das ein Zeichen, dass Bedeutung auf dem Weg zum wirtschaftlichen Standard ist.

Was sich in der Markenstrategie abzeichnet, könnte zum Leitfaden für eine humanere Ökonomie werden, deren Wert sich nicht nur nach materiellem Wachstum bemisst, sondern nach dem Grad an Bedeutung, den sie schafft.

Der Autor ist Mitglied des Global Agenda Council on Values des Weltwirtschaftsforums, Marketingchef der Innovationsfirma Frog und Herausgeber des Magazins "Design Mind".

© SZ vom 27.01.2012/mapo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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