Wir schauen nicht gern hin. Unser Leben und Arbeiten hinterlässt Spuren in den Räumen, in denen wir es angestrengt verrichten oder auch entspannt laufen lassen. Und kaum hat man ein bisschen gearbeitet oder gelebt, da sind sie auch schon wieder da, die munteren Wollmäuse auf dem Fußboden und die Staubkörner, die im Gegenlicht tanzen und sich auf unseren Sachen zur Ruhe legen.
Aber mit der Beseitigung dieser Spuren, mit der Entfernung unseres Drecks also, verhält es sich etwa so wie mit der Fleischverarbeitung: Wenn wir sie schon als sogenannte Dienstleistung - dies ist ein Wort, das ganze Epochen und ihre Haltungen in sich vereint, nämlich eine willfährige Abhängigkeit einerseits und ein Vertragsverhältnis im Geiste des nüchternen Geschäftsverkehrs andererseits -, wenn wir sie also schon als Dienstleistung an andere abgegeben haben: dann soll diese Arbeit möglichst unsichtbar bleiben.
Wie die Heinzelmännchen
So gehen unzählige Büroangestellte an jedem neuen Morgen in ihr Reich der Zwecke, um es wie von Heinzelmännchen frisch instand gesetzt zu sehen. Gerade erst haben die Reinigungskräfte, deren Anfahrt bereits Stunden zurückliegt, den letzten Wisch gemacht, man riecht es, und wer sie noch abrücken sieht, ist irgendwie froh, dass sie jetzt weg sind.
So geht es auch denjenigen, die zu Hause putzen lassen: Wenn sie nicht alt, gebrechlich, einsam sind und deshalb nicht bloß für Hilfe, sondern auch für jede Zuwendung dankbar, wenn sie vielmehr Entlastung von ihrer zeitraubenden Beschäftigung suchen, dann finden sie es für gewöhnlich am angenehmsten, ihr Personal gar nicht zu treffen. Was zählt, ist das Geld, das man, vielleicht mit einem instruierenden Zettel, hingelegt hat, und das hygienische Ergebnis.
Und auch den Frauen, die den Dienst leisten - und es sind Frauen -, ist dies Arrangement in der Regel ganz recht. Gibt es ihnen doch in ihrem gleichfalls gehetzten Tag Gelegenheit, ihr Pensum ohne Behelligung zu bewältigen und dies zwischendurch mit ein wenig Selbstsein zu verbinden.
Das belegt die Geschichte von Jola, der polnischen Putzfrau: Der Akademiker, der sie beauftragt hatte, kam einmal an einem Sommertag früher als üblich heim; er vernahm aus seiner Wohnung laute Musik, sah die Vorhänge zugezogen und drinnen dann seine Putzfrau, mit dem Staubsauger hantierend, nackt bis auf die Unterhose. Sie hatte ihn nicht bemerkt; wenn es heiß sei, sagte Jola, putze sie immer unbekleidet.
Es gab einmal ein großes Versprechen der Moderne
Die Münchner Soziologin Maria S.Rerrich hat sich vorgenommen, was Aufgabe der Soziologie ist, das Hinschauen. Sie will mit einem Buch, das Feldstudie und Appell in einem ist, den Blick auf eine neue ,,weltweite, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkte Frauen-Bewegung'' richten.
,,Der Arbeitsmarkt Privathaushalt ist ein riesiger, komplex strukturierter Weltmarkt geworden'', schreibt sie, ,,und wer mit offenen Augen durch die Welt fährt, wird die ... Frauen, die in den privaten Haushalten arbeiten, an vielen Orten und auf allen Kontinenten antreffen. Denn so gut wie überall kann man inzwischen Haushaltshilfen aus der ganzen Welt bei der Arbeit im Haus entdecken - immer vorausgesetzt, man will sie wirklich wahrnehmen.''
Diese Wahrnehmung wird in Rerrichs Buch ,,Die ganze Welt zu Hause'' beispielhaft den Frauen gewidmet, die Deutschland sauber machen. Das sind mit wenigen Ausnahmen Frauen aus anderen Ländern, wie Polen oder Ecuador, und viele von ihnen bewegen sich in einem ,,doppelten Niemandsland'', weil sie, wie immer noch fast alle Putzfrauen in privaten Haushalten, ,,schwarz'' angestellt sind, und weil sie zudem keinen legalen Aufenthaltsstatus haben.
Die Autorin scheut sich nicht, im Gebiet ihrer oft nur scheinbar objektiven Wissenschaft ihre eigenen Erfahrungen offen beizubringen. Zum einen hat sie ,,ihr Leben selbst einmal als Illegale begonnen'', denn mit vier Jahren floh sie mit gefälschten Papieren, von Mutter und Schwester begleitet, vor dem sowjetischen Einmarsch in Ungarn, der sich in diesem Herbst zum fünfzigsten Mal jährt.
Zum anderen hat Rerrichs Werdegang es mit sich gebracht, dass auch sie Putzhilfe von ausländischen Frauen in Anspruch genommen hat. Eigentlich war sie in den siebziger Jahren ,,in meiner Wohngemeinschaft noch in den Kampf gezogen, um die Gleichverteilung der Hausarbeit durchzusetzen''.
Kurz und heftig ist die Dosis der Betroffenheit
Doch dann begann das Arbeitsleben, die Älteren in der Familie brauchten Unterstützung, ihr Mann pendelte und kam nur am Wochenende nach Hause, und sie wohnte ,,längst nicht mehr in einem mal eben schnell durchgesaugten Zimmer in einer Wohngemeinschaft, sondern in einer großzügigen Altbauwohnung mit Parkettfußboden und zehn Sprossen-Doppelfenstern''.
Die Überlegung wurde unausweichlich: ,,Sollten wir unsere knappe freie Zeit mit Putzen verbringen? Wir arbeiteten ohnehin schon mehr, als uns gut tat, außerdem kümmerten wir uns auch noch um Großmutter und Schwiegermutter, und ausreichend Geld hatten wir inzwischen auch.''
Den beiden biographischen Auskünften entsprechen die zwei Hauptthemen des Buches. Das erste lautet: Wer sind eigentlich diese unsichtbaren Geister? Wie leben sie, warum kommen sie nach Deutschland, welche neuen Formen der internationalen Pendelei finden sie, wie kommen sie mit der ständigen Vorläufigkeit ihres Lebens klar?
So interessant und oft berührend diese Auskünfte sind, manchem mag es damit gehen wie mit einer suggestiv personalisierten Sozialreportage - kurz und heftig ist die Dosis der Betroffenheit, doch rasch lässt die Wirkung nach. Ja, viel Elend gibt es, aber jeder hat sein Kreuz zu tragen; auch die Mitleidszuteilung haben wir nach dem Prinzip der Arbeitsteilung organisiert, es geht ja nicht anders.
Der Fortschritt der Maschinisierung versprach die Befreiung der Frau
Dabei bleibt es jedoch nicht. Zweitens nämlich stellt sich heraus, dass die Frage nach den Putzfrauen auch die nach dem Verhältnis von Mann und Frau ist, eine Geschlechterfrage innerhalb von Beziehungen und zugleich außerhalb, im Zuge einer neuen globalen Menschenbewegung. Eine Frage mithin, die das ganze Gefüge von Leben und Arbeit in den westlichen Ländern betrifft.
Es gab einmal ein großes Versprechen der Moderne. Ein Versprechen, mit dem Sozialismus und Kapitalismus gleichermaßen lockten. Technische Neuerungen, hieß es, würden den Menschen von der knechtenden Herrschaft der Dinge, von der Anstrengung der Arbeit mit bloßen Händen befreien. Emanzipation durch Automatisierung, dieses Loblied sangen sowjetischer Fabrikoptimismus und adrett ondulierte Hausfrauen in amerikanischen Küchen, fröhliche Freundinnen ihrer Apparate, im Gleichklang.
Und natürlich ist nicht zu unterschätzen, was die Ausschöpfung der Elektrizität alles verändert hat. Anfang der sechziger Jahre noch hatte nur jeder zweite Haushalt in Westdeutschland einen Kühlschrank, nur jeder zehnte eine Waschmaschine. Mit dem Fortschritt der Maschinisierung verband sich der Ruf nach und das Versprechen der Befreiung der Frau.
Die Bilanz, die man jetzt zieht, ist nicht sehr günstig, besonders in den privaten Verhältnissen. Das bisschen Haushalt hat nicht weniger werden wollen. ,,Die Maschine'', schreibt Rerrich, ,,läuft und läuft und läuft, vielfach jeden Tag. Aber wer schaltet sie an, wer hängt die Wäsche auf, wer bügelt sie?'' Gleichzeitig mit der Armee der Apparate sind auch die Ansprüche an Komfort und Einrichtung gewachsen.
Der Raum für den Dreck ist ungekannt groß geworden
Das Wohlstandsversprechen war für die Folgen seines Erfolgs nicht ausgelegt: Es wohnen keine Großfamilien mehr zusammen, und keineswegs nur hedonistische oder reproduktionsvergessliche Singles, sondern auch viele ältere Alleinstehende und Alleinerziehende haben ihren eigenen Haushalt.
Zugleich ist der Raum für den Dreck ungekannt groß geworden: Im Jahr 1950 hatte in Westdeutschland der Einzelne 15 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung, im Jahr 2002 waren es 43Quadratmeter. Und alle reformerischen Ideen, den Einzelhaushalt von den in jeder Wohnung einzeln verrichteten Arbeiten zu entlasten und diese zu kollektivieren, sind am Wunsch nach Privatheit, an der Verschiedenheit der Menschen gescheitert.
Doch erst, wenn man auf die unsichtbaren Putzfrauen blickt, auf ihr Schicksal als Gruppe, wie es dieses Buch tut, versteht man, wie umfassend der doppelte Bruch jenes Modernitätsversprechens wirklich ist. Denn nicht bloß muss immer noch mit den Händen angepackt werden: Zahlen, die wegen der Seklusion des Privaten und wegen der Schwarzarbeit notwendig Schätzungen bleiben müssen, sprechen von vier Millionen Haushalten in Deutschland, die regelmäßig oder gelegentlich eine Putzhilfe engagieren.
Nein, hinzu kommt die entscheidende Tatsache: Es sind stets Frauen, die für uns putzen. Im dem Maße, in dem die deutschen Frauen mehr Wohlstand erreicht haben und berufstätig geworden sind, springen - trotz allen Wünschen und allem guten Willen - nicht etwa die Männer ein. ,,Die Dienstbereitschaft der (Haus-)Frauen, die jahrzehntelang so selbstverständlich umsonst zur Verfügung stand wie frische Luft, ist heute eine knapper werdende Ressource'', so Rerrich. ,,Die Lücke, die Frauen zu Hause hinterlassen, wird ... eher durch ihre eigene Mehrarbeit am Feierabend und am Wochenende sowie durch die Arbeit anderer Frauen gefüllt.''
Das heißt: Gescheitert ist auch die Änderung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Moderne Paare nehmen sich eine rechtlose Putzfrau, um emanzipationsbedingte Konflikte innerhalb der Beziehung loszuwerden und zugleich nach außen ihre Modernität aufrechterhalten zu können. Man kann sagen: Das wahre Eva-Prinzip ist, dass immer Frauen die Arbeit machen, die im Alltag anfällt.
Eva-Prinzip: Es sind immer die Frauen, die die Arbeit machen
Das hat viele Gründe, die nicht gleich auf den Einzelnen hin moralisierbar sind - die ganze Organisation des Arbeitslebens und der Sozialordnung, Lohnschere und Steuersystem, fehlende Kinderbetreuung. Das Ergebnis jedenfalls ist eine neue Klasse, die aus dem gesellschaftlichen Leben mehr oder weniger ausgeschlossen ist.
Die Frauen aus aller Herren Länder sind - wie Untersuchungen zur Migration beharrlich zeigen, was wir aber im alltäglichen Umgang beharrlich ausblenden - mehrheitlich nicht die Ärmsten der Armen in ihren Heimatländern. Es sind die couragierteren und qualifizierteren Frauen, die den Schritt in die Wohlstandsländer schaffen.
Viele Putzfrauen haben eine Berufsausbildung oder Berufserfahrung; während deutsche Arbeitslose aus strukturellen Gründen meist nicht zum Putzen gebracht werden können, haben es frühere Lehrerinnen aus Polen oder Krankenschwestern aus Honduras für uns übernommen. Nicht selten aber schenken ihnen die Anstellenden wohlmeinend ,,Kleidung, die nicht nur sie nicht mehr haben wollen, sondern die auch in den Heimatländern niemand mehr tragen würde''.
Die Putzfrauen nehmen all das auf sich, um ihren daheim gebliebenen Kindern eine bessere Ausbildung zu verschaffen oder auch ihren arbeitslosen Mann zu versorgen. Eine Polin, die hin- und herpendelt - man spricht schon von massenhafter ,,Transmigration'' -, sagt: ,,Ich putze hier und kriege Geld, und dann fahre ich nach Hause und putze weiter, nur umsonst.'' Inzwischen helfen Ukrainerinnen in den Haushalten der polnischen Putzfrauen aus, wenn diese in Deutschland sind.
Die Versorgungsfrage, derart globalisiert, wird sich mit der Alterung der Gesellschaft verschärfen. Für die aufgeklärten oberen und mittleren Schichten, die viel auf ihre Gleichberechtigung halten, wird sie - wenn sie hinsehen - zur schmerzlichen Wiederkehr der ,,Dienstbotenfrage'', welche die frühen Feministinnen im 19.Jahrhundert umtrieb.
Lily Braun schrieb damals, Emanzipation mit gutem Gewissen sei nur möglich, ,,wenn die Dienstboten aus dem persönlichen Verhältnis zu ihrem Dienstherren heraustreten und sich der Stellung der Fabrikarbeiterin annähern''. Die Emanzipationsbewegung habe Sympathien gehabt, ,,solange die Arbeiterinnenbewegung sich außerhalb der eignen vier Wände abspielte''.
Ganz ähnlich formuliert Maria Rerrich das heutige Dilemma - das einer geregelten Arbeitswelt und bürgerlichen Gesellschaft einerseits und jener Frauen andererseits, die ,,überflüssig und unentbehrlich zugleich'' sind. Ein überreguliertes Land, das zwischen Wohlstand und Verunsicherung oszilliert, täte gut daran, ein wenig über dieses schmutzige Geheimnis nachzudenken.