Kunstfälscherinnen:Ein einziger Bluff

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María Gainza, 1975 in Buenos Aires geboren, war Journalistin und Kunstkritikerin, bevor sie Romanautorin wurde. (Foto: Rosana Schoijett)

Lädt die Halbwelt des Kunstbetriebs zum Betrug nicht geradezu ein? Die argentinische Autorin María Gainza parodiert in ihrem glänzenden Roman "Schwarzlicht" das Geschäft mit dem Hunger nach Echtheit.

Von Rudolf von Bitter

María Gainza, Kunstkritikerin und viel gelobte Autorin, hat jetzt umgesetzt, was sie schon länger vorhatte, nämlich Lebensläufe realer Personen zu verfassen, über die sie nichts oder nicht viel weiß. Sie hat sich hier für die Biografie einer obskuren Bilderfälscherin entschieden, ähnlich wie Adolf Muschg, der 1984 anhand des berühmten Vermeer-Fälschers Han van Meegeren den Vampir-Roman "Das Licht und der Schlüssel" geschrieben hat.

Muschgs Figur empfand sich selbst als verkanntes Genie, María Gainzas Fälscherin will bloß ihren Lebensunterhalt verdienen, wird aber von ihrer Autorin ironisch und kunstvoll verspielt inszeniert. Aus ihrer offenbar reichhaltigen Erinnerung an Lektüren und Erlebnisse verwendet Gainza alles, was sich für eine geheimnisvolle Vita nutzen lässt. Damit niemand denkt, sie erzähle von sich, schickt sie eine Erzählerin vor, die sich als abgebrühte Kunstkritikerin des Lokalteils eines argentinischen Tagblatts präsentiert. Dort wurde sie entlassen, weil sie zu oft krank war, dann durfte sie wieder mitarbeiten, weil ihr langweiliger Nachfolger lieber als Kurator fest angestellt werden wollte.

"Alles Solide entzieht sich mir. Was bleibt, ist nichts als eine vage Atmosphäre."

Womit Gainza dem Betrieb einen Seitenhieb versetzt: Wer in der Kunst nach Sicherheit sucht, ist am falschen Ort. Das führt sie exemplarisch an der Heldin ihres Romans vor, Enriqueta Macedo. Deren Geschäft war ein besonderes: Als hochgeachtete Spezialistin arbeitete sie im Taxierungsbüro der Kreditabteilung einer Bank, wo Bilder als Sicherheiten eingeliefert werden - und erklärte Fälschungen für echt. Natürlich gegen Geld. Als Komplizin fungiert eine Malerin namens La Negra. "Aber ist Unaufrichtigkeit etwas so Entsetzliches? ,Ich denke nicht' hat Oscar Wilde gesagt", weiß die Erzählerin, die sich mit Enriqueta als deren Assistentin anfreundet und in die Geschäfte eingeweiht wird.

Dann stirbt Enriqueta, doch die Erzählerin lässt noch nicht von der Sache und beginnt eine umfassende Recherche nach der Identität der Negra. Sie sucht in der Halbwelt des Kunstbetriebs, wo Galeristen und windige Zwischenhändler, erfolglose Malerinnen und Maler und gewitzte Taugenichtse eine Boheme bilden, wie es sie jederzeit in den Metropolen gab und gibt. Das Objekt der Fälschungen sind die Bilder der Malerin Mariette Lydis, 1887 bei Wien geboren, adelig verheiratet und 1970 in Buenos Aires gestorben, deren Bilder sich als Werke einer Dame der Gesellschaft gut machen in den Salons der gehobenen Klasse und deshalb einen festen Marktwert haben. Der Betrug fliegt auf, als ein Käufer dieser Bilder einen Kredit bekommen will, und seine Bilder, da gefälscht, als Sicherheit abgewiesen werden. Enriqueta ist eben nicht mehr da.

Das wäre allein schon eine schöne Geschichte, bei Gainza wird noch mehr daraus. Das liegt an ihrem Ton und ihrer Sprache: Ihre Erzählerin betritt das elegante Hotel, um aufzuschreiben, was sie herausgefunden hat. Angeblich ist alles ausgebucht. Sie tritt mit einem Selbstbewusstsein auf, dass sogar ihr Pelzmantel, "der aussah, als hätte man dafür einem räudigen Hund das Fell abgezogen", dem Personal Respekt einflößt.

María Gainza: Schwarzlicht. Roman. Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Wagenbach, Berlin 2023. 176 Seiten, 22 Euro. (Foto: Verlag Klaus Wagenbach GmbH)

Gainza erweist sich als Meisterin im Erfinden skurriler Metaphern und Bilder. Ihren resoluten Tonfall konterkariert sie häufig gleich wieder: "Erwarten Sie keine Namen, Zahlen, Daten. Alles Solide entzieht sich mir. Was bleibt, ist nichts als eine vage Atmosphäre." So war es vielleicht das unscharfe Foto einer Frau in den 1960er-Jahren, das Gainza veranlasst hat, sich eine biografische Recherche auszudenken und von den Besuchen vermeintlicher Bekannter der Negra zu berichten: allesamt mehr oder minder schräge Vögel, unter denen ein "mediumistischer Maler" hervorsticht, der in spiritistischen Séancen Bilder im Stil von Renoir und Sisley malt.

Wenn erst klar ist, zu was für einem Scherz die Autorin uns einlädt, werden die Gerichtsakten um einen Fälscher- und Betrugsprozess und die blumigen Texte zu einer Auktion der falschen Bilder zur gelungenen Parodie. "Oder war die ganze Negra ein einziger Bluff?", fragt die Erzählerin. Daran fügt sie zwei Verse von Carol Ann Duffy: "Viel leichter als dein Werk / lässt sich deine Seltsamkeit verkaufen", und schließt: "Figuren mit klar umrissener Vergangenheit, geradliniger Psyche und kohärenten Handlungen gehören zu den großen Lügen der Literatur - ich glaube, ich habe mir diese Recherche bloß ausgedacht, um mich weiter mit meiner alten Freundin Enriqueta unterhalten zu können." Schön und bizarr ist diese Geschichte dank des Übersetzers Peter Kultzen auch auf Deutsch. Ein Roman wie ein glitzerndes Feuerwerk, eine Performance. Wenn das kein Gewinn ist.

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