Lyrische Werbung:Eine Rose ist eine Rose ist eine Dose

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Reimzeit bei Hornbach: Die Werbeindustrie hat die Dichtkunst entdeckt. Jetzt wird die Wohnungssanierung zum lyrischen Projekt.

Oliver Herwig

Man muss schon ziemlich hartgesotten sein, wenn man sich jeden Abend still vor den Fernseher setzt, um TV-Spots anzuschauen. Das wissen natürlich auch die Werber und suchen immer wieder nach neuen Wegen, Produkte unters Volk zu bringen. Mal musste es, wie bei Benetton, die schockierende Bildsprache besorgen, mal ein hämmernder Beat. Aber selbst in der Propaganda gelten die Gesetze der Kunst: Der Schock nutzt sich ziemlich schnell ab und die Wirkung verpufft.

Lyrisches aus dem Baumarkt (Foto: Foto: Hornbach/oh)

Man muss also schon etwas ganz Außergewöhnliches bieten, um den Zuschauer bei Laune zu halten. Zum Beispiel Lyrik: "Der wackelnde Tisch / Der alte Riss / Mach es zu deinem Projekt", tönt es geradezu güntereichhaft an Orten, an denen sonst nur "Mach dein Ding" dröhnte. Und weiter: "Die knarrenden Treppen / Die verlorenen Wetten / Die fehlenden Mittel / die gewonnenen Titel / Die Bank / Der Bankrott / Der See / Das Klischee", und jetzt wieder der Refrain: "Mach es zu deinem Projekt." So könnte der Rap der Neuzeit klingen, wenn er nicht so nachdenklich-intellektuell vorgetragen wäre. Was die Werber der Berliner Agentur Heimat zimmerten, ist Poesie. Konkrete Poesie, um genau zu sein.

Als Eugen Gomringer, der Vater der konkreten Poesie, 1953 einfache Worte auf leere Seiten streute, sogenannte Konstellationen vom Schlage "baum / baum kind // kind / kind hund", warfen ihm Kritiker vor, er produziere nichts weiter als Gestammel. Dabei wurde Gomringer selbst ein geschickter Werbetexter und propagierte in gleicher Form Büsi-Mützen, wie er Sprachspiele vervollkommnete.

Was hat es zu bedeuten, wenn der Baumarkt rund um die Sportschau plötzlich als Lyrik-Kabinett auftritt? Selbstverständlich nichts weniger als die Vollendung der Moderne: "Mach es zu deinem Projekt", heißt ja wohl vor allem, dass die Kunst endlich angekommen ist im Hochregallager der Realität.

Bislang galt die Poesie der Akkuschrauber, Bohrmaschinen und Gartengeräte bestenfalls als Stoff, den es auszustellen und anzuverwandeln, also wieder in Kunst zu überführen galt. Dada und Pop-Art drängten die Vertauschung der Dinge zur Vollendung hin, nur dass ihr Transfer immer eine Einbahnstraße darstellte: Verzweifelt umarmte die Kunst die Gosse und saugte deren Vitalität auf. Der Alltag hingegen verharrte in Kunstferne.

Die alten Griechen wussten: Reime kann man besser behalten.

Wir wissen: Im Baumarkt findet man alles.

Kunst und Kettensägen haben sich also gefunden. Das klingt dann fast wie der späte Benn: "Die Dose / Die Rose / Das Lose" - "Mach es zu deinem Projekt". Und Recht haben die Werber: Bestand doch das Projekt der Moderne nicht zuletzt darin, die Grenzen zwischen Kunst und Leben einzureißen, den prallen Alltag, Gewalt und Abgründe in Lyrik und bildende Kunst schwappen zu lassen.

Die Berliner sind nicht die Einzigen, welche die Kraft der Poesie entdeckten. Ford Neuseeland lancierte erst Anfang des Jahres eine Kampagne, die Lyrikfreunde zugleich in Verzückung versetzte und ins Fegefeuer schickte. Ausgerechnet der amerikanische Klassiker Robert Frost musste für 90 Sekunden Roadmovie herhalten. Wortwörtlich zitierte der Spot seine berühmte Hymne des Individualismus, das Gedicht "The Road Not Taken".

Ein junger Mann verharrt an einer Weggabelung, offenbar am Wendepunkt seines Lebens. Er zögert und folgt dem Waldweg, nicht der Straße. Suggestive Bilder ziehen vorbei, wie man sie zuletzt in Sean Penns "Into the Wild" gesehen hat: angeschnittene Gesichter, Weite und Freundschaft. Abenteuer und Liebe. Aber am Ende wartet doch nur ein Wagen, der den müden Wanderer mitnimmt.

Frosts oft fehlinterpretierte Hymne auf Individualismus und die Freiheit der Wahl erhält allerdings einen bitteren Beigeschmack. Auch der wenig ausgetretene Pfad führt geradewegs zum Auto, einem Ford. Da waren die Berliner wesentlich kühner und zugleich die besseren Lyrik-Handwerker: "Das Nichts / Das Alles / Der Anfang / Das Ende", lassen sie ihre Hymne auf das Machen ausklingen. Dann folgt der unvermeidliche Refrain: "Mach es zu deinem Projekt." Die Moderne hat gewonnen.

© SZ vom 14.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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