Lyriksammlung:An Wurmtagen nagt die Zeit

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Illustration aus Bette Westera / Sylvia Weve: Was macht das Licht, wenn es dunkel wird (Foto: N/A)

In den Gedichten von Bette Westera und den Bildern von Sylvia Weve wird uns spielerisch davon erzählt, welche Fragen und Ideen im Alltag auf uns warten.

Von Nico Bleutge

Dies ist ein Buch der Fragen. In großen Buchstaben ziehen sie sich über die Seiten. Fragen sind eine der schönsten Möglichkeiten, die Welt und ihre vielen Dinge zu erleben. Neugierig sein, sich mit leuchtenden Augen auf die Suche machen, nach dem Mond fragen und dem Meer, der Zeit nachforschen und der Ferne, aber auch ganz konkreten Sachen wie Pfannkuchen oder Fußballspielen.

Was könnte dafür geeigneter sein als Gedichte? Mit ihren Bildern, mit ihren Bedeutungsschichten, mit ihrem Gespür für Rhythmus und Klang stellen sie uns ins Offene, machen fühlbar, dass sich die Wahrnehmung der Welt immer in viele Sichtweisen auffächert. Bette Westera, die zu den bekanntesten Kinderbuchautorinnen der Niederlande gehört, denkt sich in ihren Kindergedichten Geschichten aus, Geschichten, die uns in den Weltraum führen können oder unter die Erde, manchmal auch einfach nur zum Bäcker um die Ecke. Ihre Verse erzählen spielerisch davon, welche Fragen und Ideen zum Beispiel im Alltag auf uns warten. Von der Frage, wie Kinder entstehen, bis zu Zeiten der Trauer, wenn ein Familienmitglied stirbt.

Hört der Weltraum irgendwo auf? Wann fängt etwas an? Kann die Zeit wirklich fliegen? Wie ist es, wenn sie stehen bleibt? Ganz unauffällig denken die Gedichte so auch über Sprache nach, vor allem darüber, wie wir sie verwenden. Sie drehen Wörter und Vorstellungen, lassen uns erleben, dass die Dinge relativ sind: "Wie groß kann etwas sein? / Was heißt groß, was heißt klein? / Eine kräftige Seekuh, auch ein Kalb, klarer Fall, / ist groß für ein Zebra / und klein für den Wal."

Auch wenn die Verse mitunter ein wenig zu stark in Richtung Pointe gehen, rutschen sie nicht in biedere Didaktik ab, sondern fragen wie nebenbei danach, was es heißt, "ich" zu sagen, und ob man immer man selbst sein kann. Oder was eigentlich dieses seltsame Gefüge namens "Zeit" ist, das einen mal rasen, mal schlendern, mal hüpfen und mal stolpern lässt. Ab und an stolpert leider auch die ansonsten bildstarke Übersetzung von Rolf Erdorf über den Rhythmus. Und als Leser stolpert man mit. Aber zum Glück rappelt man sich gleich wieder auf und rennt flugs in die "Super-Zeitmaschine", um bei Sauriern und Riesenspinnen zu landen. Am intensivsten sind die Gedichte vielleicht dort, wo sie sich zu Miniaturen verdichten: "An Sturmtagen / fliegt die Zeit / dir um die Ohren // An Wurmtagen / nagt die Zeit / steht still".

Sylvia Weve geht mit ihren farbigen Bildern in die Gedichte hinein, nimmt Motive auf und spinnt sie weiter. Augen, die staunend in die Welt blicken, können hier zu Sonnen werden, Kamelhöcker verwandeln sich in Berge. Manche der Illustrationen wirken aber auch ein wenig unheimlich. Trotzdem möchte man in dem Buch immerzu weiterlesen und sich von Reim zu Reim hangeln. Also fragen wir am Ende mit Bette Westera schnell, wie sich das denn anfühlt, wenn etwas beginnt: "Die Spannung vor dem Strafstoß, / das Starren nach dem Ball. / Das Leuchten eines Blitzes / und das Warten auf den Knall ..." (ab 6 Jahre)

Bette Westera : Was macht das Licht, wenn es dunkel wird? Mit Illustrationen von Sylvia Weve. Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf. Susanna Rieder Verlag, München 2019. 80 Seiten, 19,90 Euro.

© SZ vom 22.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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