Lyrik:Worte knoten

Lesezeit: 2 min

Aleš Šteger erhält den Horst-Bienek-Preis

Von Antje Weber, München

Er hat in Belgrad eine Busstation aufgesucht, an der syrische Flüchtende einen Zwischenstopp machten, er hat in einem Hotel in Fukushima gesessen, in einem Schaufenster in Ljubljana. Zwölf Stunden jeweils hat Aleš Šteger sehr besondere Orte auf sich wirken lassen, seine Gedanken und Gefühle unmittelbar aufgeschrieben, abgeschickt, unkorrigiert veröffentlicht. Eine schwierige Aufgabe für einen Schriftsteller, der sonst "fast obsessiv mit dem Ausbessern von Texten befasst ist", wie Šteger in einem Radio-Interview sagte; eine schwere Aufgabe überhaupt für einen feinfühligen Menschen: "Die Sprache verstummt in solchen Momenten."

Aleš Šteger lotet immer wieder Grenzen aus; die Zwölf-Stunden-Experimente zum Beispiel münden in ein "Logbuch der Gegenwart", dessen erster Teil jüngst bei Haymon erschienen ist. Der vielseitige 43-jährige Schriftsteller, Lektor, Übersetzer gilt als eine wichtige slowenische Stimme, der auch hierzulande aufmerksam zugehört wird; seine Reflexionen zu Europa schmücken viele Feuilletons, in Köln kuratierte er im Januar das Festival für Weltliteratur "Poetica". Einige Teilnehmer des Festivals sehen sich nun in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste wieder: Šteger erhält den mit 10 000 Euro dotierten Horst-Bienek-Preis für Lyrik; neben Margitt Lehbert von der Edition Rugerup, die einen Förderpreis bekommt. Michael Krüger wird den Abend eröffnen, der Dichter Durs Grünbein die Laudatio auf Šteger halten. Der hat die Gedichte seines Laudators ins Slowenische übersetzt; er spricht ein ausgezeichnetes Deutsch, das ihm sein Großvater beibrachte und das er dank eines Berlin-Stipendiums verfeinerte.

Ob bei der Preisverleihung eher der politisch wachsame oder der poetische Aleš Šteger im Vordergrund stehen wird? Vermutlich letzteres, schließlich handelt es sich um einen Lyrik-Preis, und die Begründung der Jury zielt natürlich in diese Richtung: Šteger sei "ein Botschafter ohne offiziellen Auftrag, der in der ganzen Welt für die Poesie wirbt". Trennen kann man die verschiedenen Facetten seines Werkes aber natürlich nicht. Gerade erst wurde zum Beispiel der erste Roman des Slowenen von Dichter-Kollege Matthias Göritz ins Deutsche übersetzt: "Archiv der toten Seelen" (Schöffling), eine fantastische Satire über die moralisch verrottete ehemalige europäische Kulturhauptstadt Maribor, die sichtbar von Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita" inspiriert ist. In einem Gedichtband wie "Buch der Körper" (Schöffling) wiederum umkreist Šteger sprachspielerisch die Grenze zwischen Wörtern und Körpern.

Der gemeinsame Nenner seines Schreibens: Hier bewegt sich jemand vorsichtig tastend durch eine verunsichernde Gegenwart. Wie schreibt Šteger selbst im "Logbuch", dessen ersten Teil er "Taumeln" genannt hat: "Es gibt keine Sicherheit, keinen festen Boden. Nur fragile Gleichgewichte, Gleichgewichte, die so komplex sind, dass niemand weiß, wie man sie vollständig erfasst." Da hilft nur ein behutsames Ausbalancieren, das diesen Lyriker stets von Neuem antreibt: "Ein Wortknoten./ Geht Welt ausloten."

Horst-Bienek-Preisverleihung , Mittwoch, 7. Dezember, 19 Uhr, Bayerische Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3, Eintritt frei

© SZ vom 07.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: