Lyrik:Schiffsmeldungen

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Von Minnesang bis Langgedicht - bei den Lyrik-Abenden der nächsten Wochen geht es natürlich stets um alles, immer jedoch auch um eines: das Meer

Von Antje Weber

Versenk dich in die bewegung des wassers", so heißt die erste Zeile des jüngsten Gedichtbands von Nico Bleutge. Sein Titel lautet "Nachts leuchten die Schiffe" (C.H. Beck), und wenn man sich zunächst einmal in die nun folgenden Buchseiten versenkt, stößt man auf Tankschiffe und große Frachter, die sich in der hohen See des Textes nähern und wieder verschwinden; Gedanken an die Kindheit strömen hier ebenso vorbei wie Holzscheite oder das Treibgut vergangener Lektüren.

"Sei gischt mit impulsen" - noch so ein Fundstück aus diesen Gedichten. Man kann es mit etwas gutem Willen als Motto für sehr verschiedene Dichter und Texte ausrufen, denen man in den kommenden Wochen in München begegnen kann. Alles fließt, das weiß der Mensch ja spätestens seit dem berühmten Spruch des griechischen Philosophen Heraklit; und so ist das Wasser, ist das Meer in seiner Symbolkraft eine zeitlose Inspirationsquelle. Denn beileibe nicht nur Bleutge, der mit den Kollegen Chandra Livia Candiani (Italien) und Arno Camenisch (Schweiz) am 9. Oktober beim "Nachsommer der Dichter" antreten wird, versenkt sich immer wieder gern in die Bewegung des Wassers.

"Das Meer, egal welches Meer, ist lang verschollen", schreibt Christoph Meckel

Auch Christoph Meckel, der im Lyrik Kabinett am 28. September die Herbstsaison eröffnet, beschwört in seinen neuen Langgedichten das Meer. "Kein Anfang und kein Ende" (Hanser) heißt der Band, in dem der vielfach ausgezeichnete 82-jährige Lyriker einen blinden Alten und seinen Lotsen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Geburt und Tod herumirren lässt. Meckels Befund ist dabei düster: "Verging je ein Zeitalter, das Visionen nicht brauchte. / Ich seh einen alten Erdteil in fortgeschrittnem Zustand, / Land ohne Landschaft, verschlammte Flüsse". Zwar weiß das lyrische Ich: "Wer Zerstörung erzählt, erschreckt kein Hirn. Er langweilt." Eine Sehnsucht bleibt dennoch. Wonach? Nach wogendem Wasser: "Unter uns, fern wie Regenbogen, soll ein Meer sein". Jedoch: "Das Meer, egal welches Meer, ist lang verschollen." Was zurückblieb, sind nur "Sümpfe aus Wrack und Salz / und Spiegelbilder fortströmenden Wassers, / irrlichternd in Verfaulung, schnalzend von Blasen der / Gärung."

Das klingt nun wahrlich übel, und um sich von diesen Visionen zu erholen, widmet man sich am besten der Kunst des Minnesangs. Das mag zwar manchen, die in der Schule oder im Studium mit Mittelhochdeutsch traktiert wurden, ähnlich schauerlich erscheinen. In der so lehrreichen wie unterhaltsamen Anthologie "Unmögliche Liebe" (Hanser), die Jan Wagner und Tristan Marquardt als Herausgeber am 5. Oktober zusammen mit Karin Fellner und Judith Zander vorstellen, klingt mittelhochdeutsche Dichtung jedoch überraschend heutig. Denn Wagner und Marquardt haben fast 70 zeitgenössische Lyriker gebeten, alte Gedichte neu zu übersetzen; das Projekt nahm übrigens in einem Münchner Biergarten seinen Anfang, wie man im Vorwort erfährt, und für die fachliche Tiefe war der junge Münchner Lyriker Marquardt zuständig - der nämlich ist, man liest und staunt, unter bürgerlichem Namen Mediävist und arbeitet an der Ludwig-Maximilians-Universität.

Was das nun aber mit dem Thema Wasser und Meer zu tun hat? Mehr, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Denn in der Minnelyrik ging es immer um eine unmögliche Liebe: Die Dichter himmelten in ihren höfischen Vorträgen in der Regel unerreichbare Frauen an und zogen dann frustriert in die Ferne. Das Meer ließ sich in diesem Zusammenhang trefflich in die Leidensgeschichten einbinden. "Ach schmerzliches leiden", jammerte zum Beispiel Oswald von Wolkenstein, neu übersetzt von Durs Grünbein, "scheiden, beneiden und meiden tun weh./ besser, wer versunken ist in der see." Hartmann von Aue klagte: "Nun seht, wie sie mich aus meiner Heimat übers Meer zieht." Walther von der Vogelweide wiederum ärgerte sich: "Könnt ich die schöne Reise machen über See/ würd davon ich singen und nimmermehr vom Weh."

Ja, die Männer und das Meer. Viel gäbe es noch zu sagen über die Gefühlswellen, die Dichter zu allen Zeiten überrollt haben. Unerreicht in seiner gedanklichen Schärfe, seiner stilistischen Prägnanz bleibt jedenfalls bis heute der alte Walther von der Vogelweide, von Ulf Stolterfoht unverblümt ins Neudeutsche übertragen: "Ich saß im grünen Klee./ Blumenbouquet/ zwischen mir und dem See./ Schön wie eh und je./ Trauriges Resümee:/ wo wir uns liebten, liegt jetzt Schnee./ Das tut auch den Vöglein weh."

Christoph Meckel , Do., 28. Sep., 20 Uhr, Minnesang , Do., 5. Okt., 20 Uhr, jeweils Lyrik Kabinett, Amalienstr. 83a; Nachsommer der Dichter , Mo., 9. Okt., 19 Uhr, Schweizer Haus, Leopoldstr. 33, Infos unter www.lyrik-kabinett.de

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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