Lyrik:Papa atmet Wellen

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Gedichte über Hoffnung, ein munteres Hallo und ein Perlhuhn - und doch drehen sie sich alle um die vielleicht schönste Sache der Welt: Zusammensein mit anderen.

Von Nico Bleutge

Das Perlhuhn. Illustration aus Milja Praagman: "Zusammen". (Foto: N/A)

"Die Kuh! Der Hahn! Das Schwein!" So hat die Schriftstellerin Brigitte Kronauer einmal einen kleinen Text über ihre Kindheitsliebe zu Tieren begonnen. Und mit den konsequent gesetzten Ausrufezeichen macht sie auch sprachlich deutlich, was ihr die Tiere als Kind bedeuteten. Sie waren etwas Beständiges in der Verschwommenheit der kindlichen Sinneseindrücke, "tragende Säulen der Wirklichkeit", wie Kronauer schreibt.

Vielleicht deshalb hat die niederländische Kinderbuchautorin Milja Praagman ihren Gedichtband mit lauter Tierzeichnungen versehen. Die zuweilen scherenschnittartig vereinfachten Tiere vermitteln hier eine Atmosphäre der Ruhe und Ausgeglichenheit. Dabei lassen sich die Gedichte auch lesen, ohne an Tiere zu denken. Das Thema "Zusammen", das dem Buch seinen Titel verleiht, ist offen genug, um darin das ganze Glück des Zusammenseins unterzubringen, oft an die Vorstellung der Familie gebunden, vom Baby in Mamas Bauch bis zu den Erlebnissen der Großmutter. Und es umfasst eben auch das Gegenteil von Ruhe und Ausgeglichenheit: Brüche in Beziehungen etwa oder Schmerzerfahrungen: "Kummer kommt wie ein Regenguss. / Wie ein Sturm von Stärke zehn. / Sodass du denkst, / er wird nie mehr vergeh'n."

Die Kuh, der Hahn oder das Schwein kommen nicht in den Gedichten vor. Eher sind es Eisbären, Wale, Schwäne oder Pinguine, die wir treffen, wie überhaupt viele Gedichte mit dem Wasser zu tun haben, mal im flüssigen, mal im gefrorenen Zustand. Wasser als das Element, das auf den ersten Blick alles verbindet, auf dem man treiben oder dahingleiten kann, aber auch als etwas, das Kontinente trennt, das Grenze oder Hindernis ist oder Fläche, auf der Menschen zu fliehen versuchen. Solche Zusammenhänge fängt Praagman wie nebenbei ein und verleiht ihren Versen, die ansonsten fast zeitlos wirken, mitunter einen deutlichen Gegenwartsbezug und eine politische Tönung: "Acht Lebensjahre im Gepäck, / 'nen Schuhkarton, drei Onkel. / Die Heimat ist für ihn weit weg, / doch Hoffnung sein Begleiter."

Auch wenn Begriffe wie "Heimat" zu wenig hinterfragt werden und sich die didaktische Ausrichtung manchmal sehr in den Vordergrund schiebt, gibt es immer wieder schöne Bilder zu entdecken: "Papa atmet Wellen, / ein und aus, immerfort. / Mein stiller Ozean - / der schönste Ort." Allerdings ist Papas Atemfrequenz hier ein wenig unruhig. Ob sich das leicht holpernde Versmaß der Übersetzung verdankt oder schon im niederländischen Text liegt? Auf jeden Fall hat sich Eva Schweikart Mühe gegeben, auch für die Reime intensive Lösungen zu finden, "Hauseingang" reimt sich hier auf "sekundenlang" und "allein" auf "superfein". So kann man nur mit einem superfeinen Zitat enden, das gute Laune macht: "Ein munteres ,Hallo! für alle / ist in der Stadt nicht angebracht. / Ich mach es trotzdem weiterhin, / denn heut' hat mich wer angelacht." (ab 8 Jahre)

Milja Praagman: Zusammen. Aus dem Niederländischen von Eva Schweikart. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2022. 48 Seiten, 16 Euro. Ab 8 Jahren. (Foto: Verlag)
© SZ vom 08.04.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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