Lustvolles Gruseln:Skandal in Schädelbach

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Illustration aus Jean-Luc Fromental, Joëlle Jolivert: Oh Schreck! (Foto: Verlag)

Ein schreckliche Bestie versetzt die Gerippe, die hier in ihrer Stadt ein ganz normales Leben führen, in Angst und Schrecken. Das Knochenklappern und die Verse zeigen ein ungewöhnliches Bilderbuch.

Von Carsten Matthäus

Die meisten Bilderbücher für Kinder spielen sich in einer Welt ab, in der die Weichzeichner regieren, in der sich Kuscheltiere auf einem friedlichen Hof treffen und was Putziges erleben. Wer als männlicher Vorleser die Stimmen dieser pelzigen Fantasiewesen nachmachen will, braucht in aller Regel eine Falsett-Stimme und kann auch gerne etwas lispeln. Nur der Brummbär verschafft den tiefer gelegten Vorlesern gelegentlich einen stimmlichen Kontrast zur sonst überzuckerten Atmosphäre. Farblich - das kann man in gut sortierten Buchgeschäften sehen, überwiegen, nein dominieren in Kinderbuch-Regalen die Pastelltöne.

Als wohltuendes Gegenmittel zum süßen Bilderbuch-Mainstream haben Jean-Luc Fromental und Joëlle Jolivet ein Buch ersonnen, das Oh Schreck! heißt. Optisch ist die Farbverteilung wie in einem stattlichen Horror-Film: Schwarz als Grundton, darauf weiße Skelette, Rot für blutige Szenen und schreckliche Geschöpfe, Gelb für Lichtkegel und Blau als gelegentliche Zierfarbe. Sonst nichts. Alle Konturen sind messerscharf, mit Verläufen oder sanften Übergängen halten sich die Autoren nicht auf.

Sie entführen die Vorleser und ihre Kinder nach Schädelbach, "wohin sich die Gerippe zurückziehen, wenn nicht gerade Halloween ist". Und die Vorleser müssen tatsächlich die ganze Geschichte über nicht ein einziges Mal ins Niedliche umschalten, weil es nichts Niedliches zu sagen gibt. Im Gegenteil: Was gerade in Schädelbach passiert, versetzt die gespenstischen Bewohner selbst in Angst und Schrecken, "Skandal" steht im örtlichen Knochenblatt, "warum versagt die Polizei?!" Offenbar zieht eine schreckliche Bestie durch die Stadt, irgendetwas zwischen einem dreiköpfigen Zerberus und einem Tyrannosaurus Rex. Sherlock Holmes wird zur Hilfe gerufen, um den Horror zu beenden.

"Oh Schreck"! funktioniert als Geschichte, weil es die üblichen Muster in mehrfacher Weise durchbricht. Angst haben die Gerippe, die sonst selbst als Gruselwesen unterwegs sind. Wenn das Tier wieder zugeschlagen hat, überbieten sie sich darin, den Horror in leuchtenden Farben an die Wand zu malen, und damit wiederum sich und ihre Mitbewohner in einen Strudel aus Angst und Wahnvorstellungen zu befördern. Als Mensch aus Fleisch und Blut, auch als Kind, sieht man dem ganzen Knochenklappern belustigt zu und hat wenig Mitleid, wenn wieder irgendwo ein Jochbein, eine Elle oder eine Rippe abhanden kommt. Das liegt nicht zuletzt an der Bildsprache, die sich durchgängig außerhalb jeder vorstellbaren Realität bewegt. Das liegt aber auch daran, dass die Geschichte gereimt ist: "Ein Arm, ein Bein - zwei Invaliden! Ganz Schädelbach wird's gruselig: Ist jedem dieses Joch beschieden? Ja, bin der Nächste sogar ich?"

Das kann man als Vorleser prima dramatisch deklamieren und vermutlich lacht das Kind dabei vergnügt. Und damit hat man dann das erreicht, was auch die Autoren als Moral dieser irren Geschichte ins Buch schreiben: "Gewöhnlich ist's bei weitem nicht so schlimm, wie euch die Leute sagen." (ab 6 Jahre)

Jean-Luc Fromental, Joëlle Jolivert: Oh Schreck! Aus dem Französischen von Ebi Naumann. Aladin Verlag, Hamburg 2016. 48 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 29.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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