"Live Earth"-Konzerte:Hitparade der Erlöser

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Wir, das Publikum, wollen es so: Bei Konzerten wie "Live8" oder "Live Earth" an diesem Wochenende nehmen uns Stars das Gutsein ab.

Tobias Kniebe

Die Popstars der Welt, die sich wieder einmal zu einem globalen Benefizkonzert zusammenfinden; ein bis zwei Milliarden Menschen, die dabei vielleicht zuschauen; und das positive Bewusstsein für Umwelt und Mitmenschen, das dabei hoffentlich entsteht - das klingt inzwischen fast nach Routine. Aber so ist es nicht: Die Verbindung von Musik und Moral bleibt prekär, eine unsichere Allianz.

Der Musiker Yusuf Islam, früher bekannt als Cat Stevens, trat am Sonntag auf einem Benefizkonzert in Bochum auf. An diesem Sonntag singt er beim Hamburger "Live Earth". (Foto: Foto: ddp)

Gehandelt wird weltweite Aufmerksamkeit. Die Stars haben genug davon, sie beziehen dieses kostbare Gut aus scheinbar unerschöpflichen Quellen. Und sie wollen einen Teil davon abtreten: an die Ärmsten der Armen, an die Opfer von Aids, oder diesmal an das gefährdete Klima der Erde. Gleichzeitig ist Aufmerksamkeit aber das Zahlungsmittel des Pop. Sie konvertiert sich zu Plattenverkäufen, Privatflugzeugen, Luxusvillen. Ihre Kehrseite ist die Enttäuschung des Publikums, die ewige Gefahr für den Künstler, missachtet oder von der Bühne gepfiffen zu werden. Nur im Benefizkonzert wird dieses Kräfteverhältnis aufgehoben, in einem merkwürdigen Nichtangriffspakt. Völlig klar, dass dabei Fragen offenbleiben.

Am Tag nach dem großen "Live8"-Konzert im Juli 2005 hat die BBC die Auswirkungen auf die Plattenverkäufe recherchiert. Die Ergebnisse waren erstaunlich. Pink Floyd zum Beispiel, die sich für diesen Abend wiedervereinigt hatten, verzeichneten bei Amazon.uk einen dramatischen Umsatzanstieg: "The Wall" plus 3600 Prozent; "Wish You Were Here" plus 2000 Prozent; "Dark Side of the Moon" plus 1400 Prozent. Auch Robbie Williams (plus 800) Razorlight (plus 600), The Killers (plus 200), Kaiser Chiefs (plus 200) und Dido (plus 200 Prozent) zählten zu den Gewinnern. Während die notleidenden Menschen in Afrika, um die es ging durch vage Entwicklungshilfezusagen und Schuldenerlässe für ihre Regierungen nur indirekt etwas von der Veranstaltung hatten , profitierten die Musiker ganz direkt: auf dem eigenen Konto.

Muss man Bono ernst nehmen?

Wer hat da nun wem etwas geschenkt? Und wer war wirklich in der Lage, Aufmerksamkeit in bare Münze umzuwandeln? Da stimmt etwas nicht, dachte sich jedenfalls Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour und trat noch einmal an die Öffentlichkeit. "Ich werde von dieses Geld spenden", erklärte er. "Es muss dafür bestimmt sein, Leben zu retten." Sein Aufruf an Musikerkollegen und Plattenfirmen, es ihm doch gleichzutun, blieb ungehört, denn die Augen der Welt waren längst auf die Bombenattentaten von London gerichtet.

"Live Earth" könnte an diesem Wochenende die Krönung eines jahrzehntelangen Informationsfeldzugs sein, mit dem Al Gore das Thema Klimawandel auf der Liste der drängendsten Menschheitsprobleme gesetzt hat. Es könnte aber auch den Moment markieren, in dem Komplexität und wissenschaftliche Präzision - bisher entscheidende Erfolgsfaktoren in seiner Mission - hinter der massenwirksamen Botschaft zurücktreten. In ihrem Ziel, Bewusstsein und Handlungsbereitschaft bei jedem Einzelnen zu schaffen, scheint die Kampagne zumindest präziser definiert als vergleichbare Massenevents davor: Jeder Musikfan soll sich als Teil des Problems begreifen und ganz persönliche Besserung geloben - weder Spenden noch wohlfeile Aufrufe an Politiker und Großkonzerne reichen diesmal aus.

Das sogenannte "Versprechen", das man im Internet unterzeichnen kann, geht weit: Da schwört man nicht nur, die eigene Regierung zum Handeln zu zwingen, sondern muss auch feierlich geloben, selbst "kohlendioxidneutral" zu werden - kein Flug und kein Autokilometer mehr ohne einen Baum, der zum Ausgleich gepflanzt wird. Die Namen der Unterzeichner sollen weltweit über die Konzertleinwände flimmern.

Warum machen Popstars bei diesem Spiel so gerne mit? Zum Teil sind sie sicherlich politisch denkende, gutinformierte Zeitgenossen, die eine Chance sehen, wirklich etwas zu verändern. Zum Teil suchen sie die Möglichkeit, ihrer Musik so etwas wie Relevanz zu verleiehen; zum Teil spekulieren sie auf zusätzliche Plattenverkäufe und den Auftritt im hellstmöglichen Rampenlicht, und zum Teil wollen sie auch dem Schicksal entgehen, als Ausbeuter des eigenen Ruhms zu enden. Bono gilt nicht umsonst als Heiliger, Mick Jagger dagegen als gieriger alter Sack.

Der letzte und entscheidende Grund ist aber noch ein anderer: Wir, das Publikum, wollen es so. Bob Geldof, den kein Mensch mehr als Musiker auf der Rechnung hatte, wird noch heute von der Welle der Liebe umspült, die über ihm zusammenschlug, als er 1984 das Projekt "Band Aid" ins Leben rief, das mit der Single "Do They Know It's Christmas" eine Hungersnot in Äthiopien lindern wollte. Und jeder Politiker, der Bono eine Stunde in seinem Terminplan freiräumt, prüft vorher aufs sorgfältigste den Pressespiegel und die Meinungsumfragen: Wollen meine Wähler wirklich, dass dieser Typ mit der grpßen Brille mir ein Ohr abkaut? Muss ich so tun, als ob ich ihn ernst nähme? Und bringt es etwas für mein Image, mich mit ihm fotografieren zu lassen? Die Antwort ist ja, ja und nochmals ja. Bono-Gegner können sagen, was sie wollen - der größere Teil der Menschheit hat es nun einmal so beschlossen.

Ich stehe hier und ich kann nicht anders, sagt der Benefizrocker gern, und das ist gar nicht so falsch. Auf seltsamen Wegen ist ihm eine kollektive Aufgabe zugewachsen: Stellvertretend für uns alle soll er wahre Gefühle ausdrücken, echte Empörung artikulieren, für die spontane, gute und gerechte Seite stehen, die wir in uns selber spüren. Vielleicht weil dies Werte sind, die wir manchmal tatsächlich in der Musik finden.

Mit diesem klaren Auftrag jedenfalls geht Bono zu Angela Merkel und fordert Milliarden für Afrika. Frau Merkel hat jedoch einen ebenso klaren Aufrag, den sie ebenfalls für uns wahrnimmt: Deutsche Arbeitsplätze sichern, das Wohlstandsniveau bewahren, die hungrigen Massen nicht ins Land lassen. Sie soll das alles nicht zu deutlich sagen, sie soll bitteschön freundlich zu Bono sein, und sie soll ihm soweit entgegenkommen, dass wir uns in den nächsten Wochen okay fühlen können. Beide spielen ihren Rollen perfekt: Agenten jenes Kampfes zwischen Gier und Großherzigkeit, der in jedem Einzelnen von uns tobt.

Und das ist das wirklich bemerkenswerte an der Figur Al Gore und an der Transformation, die er an diesem Wochenende abschließt: Dass er so scheinbar mühelos von der Seit der Gier zur Seite der Großherzigkeit übergewechselt ist, von der Politik zum Gutmenschenpop, und dass sein neuer Status als Benefizrocker ehrenhalber nun endgültig besiegelt wird.

© SZ v. 7./8.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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