Literaturpreise:Goncourtisanen

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Leïla Slimani erhält den französischen Prix Goncourt für ihren Roman über eine Kindsmörderin. Der Prix Renaudot geht an Yasmina Reza.

Von Joseph Hanimann

Zeichnen sich manchmal unter den rund dreihundert neuen französischen Romanen der Saison schon im Spätsommer ein oder zwei Spitzentitel ab wie im vergangenen Jahr Mathias Énards "Kompass", so war die Auswahl der Kandidaten diesmal ein langes Erbsenzählen. Kein klarer Favorit, nirgends. Dennoch erhielt bei den Goncourt-Juroren von den vier Finalisten schon in der ersten Wahlrunde die 35-jährige Franko-Marokkanerin Leïla Slimani mit ihrem Roman "Chanson douce" die nötige Stimmenmehrheit vor Catherine Cusset, Gaël Faye und Régis Jauffret. Es handelt sich um das radikalste Buch der Endauswahl.

In knappen, wie mit dem Skalpell geschnittenen Sätzen beschreibt die Autorin, wie es zu jenem Ereignis kam, das im ersten Satz des Romans eiskalt konstatiert wird: Das Baby ist tot, es wurde von seinem Kindermädchen, dem liebenswürdigsten aller Wesen, ermordet. Slimani erkundet in diesem Roman - es ist erst ihr zweiter - das komplizierte Verhältnis von überbeschäftigten modernen Eltern zu jener Person, der sie ihre Kinder anvertrauen. Sie suchen sie sorgfältig aus, schließen sie dann aus Harmonieverlangen ins Herz, wollen nicht so genau wissen, was in ihrer Abwesenheit passiert, und laufen so dem Unheil möglicherweise direkt in die Arme. Von der abgrundtiefen Einsamkeit Louises, der Nanny in "Chanson douce" (erschienen bei Gallimard), ahnte das Elternpaar jedenfalls so wenig wie vom Schmerz, den es ihr durch seine Sympathie versprühende Überheblichkeit zufügte. Mit Tahar Ben Jelloun und Françoise Chandernagor hatte die junge Autorin entschiedene Anwälte in der Goncourt-Jury.

Mord gibt es auch in Yasmina Rezas jüngstem Roman "Babylone", der bei Flammarion herausgekommen ist. In der Verkleidung eines Krimis wird dort im aufgedreht melancholischen Reza-Ton die Vergänglichkeit des Lebens reflektiert. "Da gibt man als junges Mädchen sich allen Tollheiten hin und fängt eines Tages plötzlich an, sechzig zu sein", sagt sich die Hauptfigur Elisabeth, bevor sie mit dem Wohnungsnachbarn eine Romanze anfängt. Yasmina Reza schied mit ihrem Roman bei dem mit symbolischen zehn Euro dotierten Prix Goncourt schon nach der ersten Vorauswahl aus, erhielt nun aber den undotierten Renaudot, dessen Gewinner stets am selben Tag wie der des Goncourt bekannt gegeben wird.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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