Literaturfestival Berlin:Terror und Migration

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Autor und Aktivist: Wole Soyinka, geboren 1934 in Abeokuta, Nigeria. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Über den Boko-Haram-Terror in seiner Heimat Nigeria und über die aktuelle Migration sprach Wole Soyinka, Nobelpreisträger für Literatur, in Berlin.

Von Hans-Peter Kunisch

Flüchtlinge und Asylsuchende haben beim 15. Berliner Literaturfestival, das noch bis zum Wochenende läuft, freien Eintritt. Vielleicht haben sie anderes zu tun oder noch nichts davon gehört: Bei den beiden Abendveranstaltungen mit dem nigerianischen Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka war die erste, in der er über "Terror" sprach, bis auf den letzten Platz gefüllt; die anschließende, in der es ausdrücklich um "Migration" ging, blieb halb leer.

Der 81-Jährige kennt sich mit beiden Themen aus. Während des Regimes von General Sani Abacha flüchtete Soyinka in den Neunzigerjahren auf einem Motorrad über die Grenze. Schon als er 1967 nach einem Umsturz Kontakt zum neuen Chef der Militärregierung suchte, um auf die Lage einzuwirken, musste er in den Untergrund gehen. 1967 wurde er schließlich für 22 Monate inhaftiert. Das Gedicht "Massacre, October 66" über das Massaker an 30 000 Ibos im Norden Nigerias schrieb Soyinka zuvor in Deutschland, "in Tegel", so die erste Zeile, wo er im kühlen Berliner See in einem Strudel "toter Blätter" schwamm. Zurück am Strand trat er "auf Eicheln; jede Explosion einer Schale / verspottete die Einzigartigkeit von Schädeln."

Die Erfahrung von Gewalt ist in Nigeria nicht neu. Aber Boko Haram, so Soyinka im Gespräch über Terror, hat die Lage verschärft. Der Name der Organisation, mit "Bücher sind Sünde" übersetzbar, klingt für eine Terrorgruppe paradox. Aber als Bücherjäger agierten die "Jama'atu Ahli as-Sunna li ad-da'awati wal jihad", etwa "Gefolgsleute der Lehren des Propheten und des Dschihad", in Nigeria. Worauf sie ihren Übernamen erhielten, der für Soyinka nach "dumpfem Philistertum" klingt.

Wie in seiner Rede bei der Lindauer Nobelpreisträger-Tagung im Juli verurteilte Soyinka auch im Haus der Berliner Festspiele die westlichen Medien, die einer Horde gewalttätiger Verrückter auf den Leim gingen, wenn sie die Selbstbezeichnung "Islamischer Staat" übernähmen. Ein fanatisierter Jugendlicher, der der Suggestion erliege, für etwas so Großes wie einen "Islamischen Staat" zu kämpfen, sei zu allem fähig.

Die Bücherverteufelung, die zur Propaganda von Boko Haram gehört, macht den Wert der Verteufelten sichtbar. Soyinka ließ in seinem Bericht über das aktuelle Nigeria eine Reihe Schulen Revue passieren: von Eton vergleichbaren Privatschulen bis zu im Urwald verrottenden öffentlichen Schulen, die ohne Kinder, in der unterrichtsfreien Zeit, aussähen wie Ruinen. Eine Schule im westnigerianischen Osun hat einen für ihre Zwecke besonders geeigneten Laptop entwickelt, der im ganzen Land verbilligt abgegeben wird.

Aber alle Schulen sind gefährdet, aufklärerische, gemäßigt-islamische, ebenso christliche. Soyinka erzählte die Geschichte des ghanaischen Schriftstellers Kofi Awoonor, der im September 2013, während eines Lese- und Schreib-Festivals, bei einem Anschlag der Gruppe al-Shabaab in Nairobi ums Leben kam, "rein zufällig."

Was den neuen nigerianischen Präsidenten angeht, den 73 Jahre alten Ex-General Buhari, der Boko Haram, ganz im Sinne von Soyinka, als "Gruppe verrückter und gottloser Menschen" bezeichnet hat, "die so weit vom Islam entfernt sind, wie man es sich nur vorstellen kann", zeigte sich der Schriftsteller skeptisch. 1983 durch einen Putsch an die Macht gekommen, 1985 durch einen Putsch wieder davon entfernt und in den Neunzigerjahren von Sani Abacha protegiert, stehe Buhari nicht für eine neue Politik. "Vielleicht können neue Konstellationen Menschen verändern. Aber Enttäuschungen sind möglich."

Milder fiel der zweite Teil des Abends aus, das Gespräch über Migration. Offenkundig hatten Soyinka und seine englische Moderatorin die jüngsten Wendungen und Aporien der deutschen Flüchtlingspolitik noch nicht recht zur Kenntnis genommen. Beide waren - vor der Kontrastfolie der britischen Politik - voll des Lobes für die Humanität der Deutschen und ihrer Kanzlerin. Wohl unter dem Eindruck der eigenen Vergangenheit seien die Deutschen "offener" als die Engländer, die sich der Anerkennung des Problems verweigerten. Soyinka - er hat in Leeds studiert - hat sein frühes satirisches Gedicht "Telefongespräch" im Blick auf das Verhältnis zwischen Engländern und Afrikanern geschrieben. Das lyrische Ich sucht eine Wohnung, erzählt, es sei Afrikaner. Stille. "Wie schwarz?" Stille. "Leicht schwarz oder sehr schwarz?" Stille. "West African Sepia." - "What's that?" Wie das Gespräch heute in Deutschland verliefe, ist offen.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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