Literaturfest:Zahn um Zahn

Von Antje Weber

Es ist ein äußerst intensiver Moment, die Wirkung: brachial. Zunächst einmal für den Dichter selbst: Bei der dritten Lyriknacht des Literaturfests erzählt der sehr lakonische Brite Simon Armitage von einem einschneidenden Erlebnis. Das dazugehörende Gedicht "Für die Akten", von Jan Wagner übersetzt, beginnt dann so: "Seit der äußerst brutalen Entfernung/ aller meiner vier Weisheitszähne/ habe ich das Gefühl, daß ich sozusagen/ mit dem Mund eines anderen Mannes spreche,/ und meine Zunge ist ein Weichtier geworden,/ eine Muschel oder Auster etwa,/aufgebrochen und entweiht, die in ihrer/ Schale die eigenen Wunden leckt." Im Folgenden ist vom Ausrenken des Kiefers die Rede, überhaupt von exzessiver Gewalt, und noch am Ende des Gedichts fühlt sich der Mund des lyrischen Ichs an "wie ein Auto, dem man die Reifen stahl,/ aufgebockt". Ein greller Schmerz, zu Literatur verarbeitet, veredelt, verwitzelt - zweifellos ganz große Lebenskunst. Doch damit nicht genug: Der Vortrag des Dichters inspiriert nun den finnischen Musiker Kalima zu einer Improvisation; er lässt seine Finger über die Saiten und Bünde seiner Gitarre rutschen, quietschen, kreischen: Jaul!

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