"Wie zum Teufel können wir weiterleben, obwohl wir wissen, dass diese Dinge geschehen?" Wenn ein Buch eine solche Frage als Untertitel trägt, dann ist klar: Der Autor hat eine große Wut, und mit dieser Wut will er seine Leser herausfordern. Im Instituto Cervantes sitzt dann jedoch ein sehr freundlicher, sympathischer Argentinier mit imposantem Schnauzbart; er hat zwar viele Fragen, Antworten jedoch hat er keine parat. Vielleicht ist das ja gut so.
Nein, es geht an diesem Literaturfest-Abend einmal nicht um Flucht und Exil, sondern um eine der Ursachen dafür. "Der Hunger" (Suhrkamp) hat Martín Caparrós schlicht sein 800-Seiten-Kompendium genannt, entstanden in einer mehrjährigen Recherche quer über den Globus. Das Thema ist komplex, und so wäre es Caparrós zum Beispiel auch viel zu einfach, den Hunger als Migrationsgrund zu bezeichnen. Auch nicht bei afrikanischen Flüchtlingen; auch diese, so sagt er, kämen in der Regel aus der Mittelschicht, mit dem nötigen Wissen und Geld für eine Flucht: "Die Hungernden haben diese Möglichkeit nicht." Die Hungernden bleiben zu Hause.
Caparrós räumt im Gespräch mit Moderatorin Judith Heitkamp mit so mancher falschen These auf; und auch wenn viele seiner Befunde nicht überraschend neu sind, tun sie den überwiegend beeindruckten Zuhörern doch so weh, wie er es beabsichtigt. Hunger ist für den Journalisten vor allem ein strukturelles Problem, nicht von unausweichlichen Naturkatastrophen gesteuert. Und: "Nicht die Armut ist der Grund für Hunger, sondern der Reichtum in den Händen Weniger." Das Schlimmste aber: "Hunger passiert immer den anderen, nicht uns." Daher interessiere uns der Klimawandel sehr viel mehr als das Darben von Millionen Menschen auf der Welt. Statt Lösungen hat Caparrós nur die vage Hoffnung auf einen Bewusstseinswandel: "Der Hunger muss uns etwas ausmachen!" Wir müssten viel wütender sein.
Sind die Poetry Slammer beim Literaturfestfest am Samstag wütend? In manchen Texten schon. Ansonsten haben sich alle nach dem Motto "We Are Slamily!" sehr lieb, es gibt in der gut gefüllten Muffathalle ja nicht einmal einen Wettkampf. Die von Slam-Pionier Bas Böttcher nach ihrem Migrationshintergrund ausgewählten Kollegen fügen sich jedenfalls weitgehend klaglos in das Los, einen "freudigen Migrantenreigen" aufführen zu sollen, wie Temye Tesfu ironisch anmerkt. Der junge Berliner mit Augsburg- und Afrika-Hintergrund jedenfalls kann hübsch poetisch von seinem Alltag erzählen. Seine Eltern sagen zwar, sie seien "nicht in dieses Land gekommen, damit ich Gedichte schreibe". Doch in einem Gedicht für seine Mutter macht er ihr klangvoll klar, wie sehr für ihn die Worte vibrieren: "Assonanzen sind meine Mätressen", "ich streichel Vergleiche".
Die gebürtige Londonerin Jacinta Nandi liest ihre schön drastischen, unterschiedlich bühnentauglichen taz-Kolumnen "Die gute Ausländerin" vor. Der Kroate Dalibor Marković beweist, unter anderem in einem hufklackernden Remix des "Erlkönigs", sein - neben Bas Böttchers geschmeidigem Reimen - besonders ausgeprägtes Gefühl für Rhythmus. Sulaiman Masomi wiederum, dessen Biografie von Kabul nach Köln führt ("Keine Angst, ich kann Deutsch, so'n bisschen"), unterhält die überwiegend jungen Zuhörer mit dem Gleichklang von "Gemecker" und "Geh Mekka!", lässt ihnen bei einem Gedicht über den Werdegang eines Terroristen aber auch mal kurz den Atem stocken: "Minarette sich, wer kann!" Am schönsten wäre es ja, wie der ägyptische DJ Mohamed Safi mit einem anschließenden Orient-Mix nahelegt, wenn sich die Welt ganz einfach ins Tanzen retten könnte.