Literaturfest:Todessucht, Überlebenslust

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"West-östliche Winterreise" - ein Wort-Klangspiel im Einstein

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Die Halle 1 im Einstein ist alles andere als lauschig. Selbst mit einem Glas Rotwein wird man in diesem Kellerraum nicht warm. Das Konzert nebenan in der Unterfahrt hört man notgedrungen mit - bei einer Musikveranstaltung wie dieser die Krätze. Außerdem knarzen die Stühle gar fürchterlich. Elke Schmitters Motto für das heurige Forum:autoren "Ein Wort gibt das andere" erfährt hier demnach eine doppeldeutige Variante: "Ein Ton gibt den anderen". Man soll es an diesem Abend halt nicht allzu bequem haben auf einem west-östlichen - Diwan jedenfalls nicht.

Auf eine "West-östliche Winterreise" soll man mit, okzidental zurück in die Romantik, zu Wilhelm Müllers Dichtung, die Franz Schubert vertonte und die hier ganz neu, nämlich instrumental in einem Arrangement für das Mesconia Streichquartett in unerhörter Frische, ja gelegentlich aufrührerischer Attacke erklingt. Burchard Dabinnus, Rundfunksprecher und Schauspieler, liest sieben der wohlbekannten Lieder, hie und da irritierend in ihrer Phrasierung und Intonation. Jedenfalls so, dass man ganz neu hinhören muss.

Dabinnus erzählt auch, dass Müller, als er seine Gedichte schrieb, just aus den napoleonischen Kriegen zurückgekommen war. Er spannt damit den Bogen zu den Gedichten des Syrers Yamen Hussein, der vor einem Jahr als Flüchtling nach Deutschland kam. Sie handeln vom Krieg, von der Vorbereitung zur Flucht, vom Heimweh des Fliehenden und des Ankömmlings in der Fremde. Das Kunstlied sei der deutsche Beitrag zur Romantik gewesen, erklärt Elke Schmitter, zur Feier des Abends mit Kunstblumen im Haar. Hier (Liebes-) Sehn-und Todessüchte auf dem Weg in die Fremde, dort die überlebenshungrige, poetische Reflexion zum Bruderkrieg in seinem Land, gegen den Yamen anschreibt ebenso wie gegen "dumme Politiker" vom Schlage Trump, Erdogan und Assad.

Die orientalischen Rhythmen dazu zupfen, schlagen, schrammeln der fantastische Oud-Spieler und Komponist Abathar Kmash und der Bratschist Ehab Abou Fakhar als virtuosen Tanz auf den Saiten. Und am Schluss, da stimmen sie an zu einem kammermusikalischen Tutti voller west-östlicher Walzerseligkeit. Ein Winterreise für Münchner Bildungsbürger und einige syrische Gäste, genauso schön wie "Z'am rocken" im Hofbräuhaus im vergangenen Juli für bayerische und afghanische Alt- und Junganarchos im Hofbräuhaus.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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