Literaturfest:Ideen haben keine Grenzen

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Mit Gespräch und Lyriknacht beginnt das Europa-"Forum"

Von Antje Weber, München

Schweden, Österreich, Slowenien oder Schweiz - auf der Bühne sitzen Schriftsteller, in deren Biografien nicht eben wenige europäische Länder stehen, "und nimmt man noch die Einflüsse hinzu, man hätte mehr als ganz Europa". Jan Wagner stellt seine ersten Gäste so enthusiastisch als "Bilderbuch-Europäer" vor, dass er selbst stockt und in die Runde fragt: "War Euch das peinlich?" Da sitzen sie nun, Aris Fioretos, Ilma Rakusa, Navid Kermani, und schweigen. Bis Kermani sich ein Herz fasst bei dieser Veranstaltung, die den Titel "Europa im Herzen" trägt: "Man möchte ja nicht eingeladen werden als Verkörperung von etwas, sondern lieber als Autor. Aber für Dich, Jan!"

Für ihn, den Lyriker und Kurator des Forum:Autoren beim Literaturfest, sitzen nun also drei prominente Schriftsteller beisammen; jeder von ihnen bestreitet problemlos allein ganze Abende. Bei dieser Veranstaltung jedoch kommen sie nicht so recht ins Gespräch. Das mag vor allem daran liegen, dass der Moderator kurzfristig ausfiel - und der einspringende Wagner kann zwar vieles, doch für eine so herausfordernde Moderation fehlt ihm die Routine. Getragen wird der Abend dennoch von seiner jungenhaften Begeisterung - und von manchen Sätzen und Gedanken seiner Gäste, die dann doch haften bleiben.

Insbesondere wenn sie Europa nicht von innen, sondern von außen beschreiben: Der Blick aus dem Osten mache ihr bewusst, wie sehr Europa etwas Besonderes sei, sagt Rakusa: "Auf relativ kleinem Raum ist hier schon sehr viel da." Fioretos weist darauf hin, dass die vielen Kulturen sich dennoch "nicht immer harmonisch zusammenführen lassen": Die Komplexität gehöre in Europa dazu. Und Kermani verweist darauf, dass die europäische Idee von den Außenseitern erfunden wurde, von Dichtern, Philosophen. Nirgends habe er übrigens glühendere Europäer gefunden als in Marokko. Dort begreife man, dass Europa Gleichheit bedeute, Teilhabe: "Europa als Projekt ist eine Idee. Und eine Idee hat keine Grenzen."

Auch eine andere Idee an diesem ersten Literaturfest-Abend deutet darauf hin, dass sich Grenzen überwinden lassen: Bei einer Ersten europäischen Lyriknacht im Marstall gleich im Anschluss verwirklicht Wagner seine Idee eines "Schönen Babel". Mazedonisch, Slowenisch, Tschechisch, Ukrainisch - in all diesen Sprachen neben dem Deutschen sind ganz selbstverständlich Gedichte und Lieder zu hören. Einige der bedeutendsten Dichter Osteuropas sind dem Ruf Wagners gefolgt, der in der gut vernetzten Lyrikszene mit vielen befreundet ist.

Während die Dichter in ihren Muttersprachen vortragen, laufen über ihnen Übersetzungsprojektionen mit. Man kann sie mitlesen - oder sich einfach von der weichen und warmen Stimme des Mazedoniers Nikola Madzirov forttragen lassen, über die sehr viel schärfere Sprache der Tschechin Kateřina Rudčenková staunen oder über die Musikalität der Gedichte des Slowenen Aleš Šteger, vom virtuosen Akkordeonspieler Jure Tori noch unterstrichen. Der ukrainische Starautor Serhij Zhadan wiederum feuert die Wörter wie Salven ab, selbst wenn es bei ihm einmal nicht um den Krieg geht, sondern um die Liebe. Dass auch Leichtigkeit eine Option sein kann, führen die Lieder Bruno Franceschinis am Piano vor. Und so geht an diesem Abend vieles durch einen hindurch, und bei jedem Zuhörer wird etwas anderes hängen bleiben; ein Klang, ein Gedanke, ein Gefühl. Wie lauteten die Zeilen des polnischen Lyrikers Tadeusz Dąbrowski am Eröffnungsabend: "Dichtung ist, wenn du's spürst." Vielleicht gilt das auch für Europa.

© SZ vom 17.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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