Literaturfest:Erinnern und nicht vergessen

Lesezeit: 1 min

Nádas ist gegenwärtig wohl Ungarns wichtigster Schriftsteller. (Foto: Aufleuchtende Details/Rowohlt, Buchpremiere/imago/gezett)

Péter Nádas kennt eine Menge "Aufleuchtende Details"

Von Eva-Elisabeth Fischer

Nein, nein, auf Psycho-Bohrungen lässt sich Péter Nádas nicht ein. Sein Schreiben sei eine Frage des Sitzfleischs. Seine Selbstanalyse, orientiert an den Antagonisten Sigmund Freud und C.G. Jung, habe er bereits im Alter von 24 Jahren absolviert und dabei gelernt, zu unterscheiden zwischen Fantasie und Erinnerung: "Meine Arbeit ist es, das Originale herauszufinden und von den Phantasmen zu trennen." Andreas Breitenstein von der NZZ, sein unbedingt ebenbürtiger Gesprächspartner im Literaturhaus, muss immer wieder solch korrigierende Breitseiten einstecken.

Anlass ist das Reden über "Aufleuchtende Details", die 1276-seitigen Memoiren des ungarischen Romanciers und Weltendenkers Péter Nádas, die erkenntnissatte Frucht von zehn Lebensjahren. In der ersten Phase seiner Erinnerungen widmet er sich den Erfahrungen, die er während der 102 Tage der Belagerung Budapests im Winter 1944, also in einer "Welt in Trümmern", machte. Da war der Sohn großbürgerlicher, intellektueller Juden und glühender Kommunisten zwei Jahre alt. Er liest vor, wie seine Mutter schreiend und schlagend gegen die Lynchjustiz des Mobs protestiert. Dennoch schämt sich der für jegliche Utopie Unempfängliche für sie: "Sie prügelte missionarisch, messianisch."

Péter Nádas räumt auf: Er erlaube sich nach 50 Jahren fiktionalen Schreibens die Suche nach der Realität, assoziativ eingebettet in die dramatischen Zeitläufte zwischen seinem Geburtsjahr 1942 bis zum Volksaufstand 1956. Es erzählt ein 75-Jähriger, der bereits mit elf Jahren ein Erzähler sein wollte, zunächst von den vorsprachlichen Erinnerungen in Bildern ohne Ton eines knapp Dreijährigen, dann eines 14-Jährigen, der die "Ermordung der Demokratie" in der Revolution bereits hinter sich hatte. Er seziert die "Aporie des Menschseins" (Breitenstein) gnadenlos, aber gleichwohl empathisch in einem "Wahrheitsfuror" und hätte das Buch auch anders schreiben können - als eines über das Vergessen. "Das Vergessen ist ein Schutz", sagt er.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: