Sascha Macht: "Spyderling":Das Schicksal zwischen Pappdeckeln

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Im Roman "Spyderling" stapeln sich regalweise Brettspiele - nur dass sie von Sascha Macht erfunden sind. (Foto: Florian Peljak)

Sascha Macht behauptet in seinem Roman "Spyderling" das Brettspiel als Parabel auf das Leben und verzockt sich grandios.

Von Timo Posselt

Wenn Spiel und Leben ineinandergreifen, eskaliert es. Zumindest in der Literatur. Für Werke, die dem Motiv des Spiels erzählerisches Potenzial abringen, muss man nicht einmal Stefan Zweigs "Schachnovelle" bemühen. Gezockt wird auch in Romanen wie dem 70er-Jahre-Kultbuch "Der Würfelmann" von Luke Rhinehart oder im unbehaglichen "Das Dritte Reich" des Chilenen Roberto Bolaño. Meist übertönt in diesen Werken das Geschehen auf dem Spielbrett jenes daneben -­ mit unabsehbaren Konsequenzen für die Figuren. Mit seinem zweiten Roman "Spyderling" schreibt sich der deutsche Schriftsteller Sascha Macht nun in diese Tradition ein und setzt alles aufs Spiel.

Autor Sascha Macht 2016, und damit in dem Jahr, als er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb las. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Der 36-jährige Macht ist in Frankfurt an der Oder geboren und absolvierte das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig. 2016 las er beim Ingeborg-Bachmann-Preis und gewann mit seinem ersten Roman "Der Krieg im Garten des Königs der Toten" den Debütpreis der lit.Cologne. Sein Zweitling "Spyderling" ist ein Wagnis. Denn Macht bürstet das Motiv des Brettspiels gewissermaßen gegen den Strich. Statt Spieler bevölkern seinen Roman Spielerfinder, und die sind bei Macht besonders illustre Figuren.

Macht ist ein gewitzter Erzähler von absurden Situationen

Sie heißen Johanna van Tavantar, Arno Picardo oder wie die Heldin und Ich-Erzählerin, Daytona Sepulveda. Genauso ausgefallen ist ihre Physiognomie. So trägt Arno Picardo zum Beispiel statt Haaren ein riesiges Muttermal über der gesamten Kopfhaut. Immerhin "mit Ausnahme seines Gesichts". Diese globale Spielentwickler-Elite trifft sich in der Villa des titelgebenden Spyderling auf einem Weingut in der Republik Moldau. Bis der Gastgeber auftaucht, vertreiben sich die Eingeladenen das Warten mit Alkohol, Sex und natürlich Brettspielen.

Die riesige Ludothek des Hausherren verfügt über Klassiker mit Titeln wie "Nackt am Strand" von Hosianna del Mestres, "Die Oma im Garten" von Walter Kotzepittys oder T. T. Tollivers "Tennessee Tabacco Tycoon". Regalwände voll solch erfundener Brettspiele stapeln sich in Machts Roman. Lustvoll reichert er sie mit popkulturellen und historischen Referenzen an und greift gar die Debatte um kulturellen Aneignung auf, als einer Japanerin vorgeworfen wird, sie dürfe kein Spiel über Straßengangs in Los Angeles erfinden. Die graue Eminenz, der Spieleschöpfer Spyderling, macht sich bis zum Schluss so dünn, dass sich die Figuren irgendwann fragen, ob er überhaupt existiert. Als Leser fragt man sich bald, warum man denn auf ihn warten soll.

Sascha Macht: Spyderling. Roman. Dumont, Köln 2022. 480 Seiten, 25 Euro. (Foto: N/A)

Der Roman gewinnt etwas Tempo, als die Ravensburger-Avantgarde sich in die Hauptstadt der Republik Moldau aufmacht und in Chişinău die Punkband mit dem sprechenden Namen "Taxi Terreur & The Hilterbabies" aufgabelt. Macht zeigt sich dabei immer wieder als gewitzter Erzähler von absurden Situationen. Sprachlich gestaltet er seine Sätze so vollmundig wie die Beschreibungen der moldauischen Spezialitäten und lässt sie teilweise seitenlang überborden. Seine Figuren bleiben trotz der expressiven Erscheinungen und Namen eigentümlich farblos. Selbst die Heldin Sepulveda, die mit ihrer tragischen Vergangenheit und einer lesbischen Affäre eigentlich genügend Raum hätte, Tiefe zu gewinnen, bleibt blass. Stattdessen versteigt sich Macht zu immer neuen Exkursen wie einem Glossar des Spieleverhaltens einzelner Nationalitäten, das sich über Dutzende Seiten hinwegzieht. Die Jemeniten, so liest man da, beklagen ihr Leid, während sie spielen. Gut möglich, dass sie dies auch beim Lesen täten.

Ein Brettspiel sei "komprimierte Wirklichkeit", heißt es zu Beginn von "Spyderling". Das Leben als Spiel auf "bunt bemalter Pappe" also. Schade bloß, dass der Autor seinem Credo erzählerisch nicht ganz zu trauen vermag und seine Figuren in diesem ausdrücklichen Brettspielroman paradoxerweise viel zu selten wirklich spielen lässt.

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