Literatur:Schlürfen dürfen

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Vor fünf Jahren hat Bettina Deininger in München ihren Verlag Austernbank gegründet; in jedem Jahr hat sie seither ein Buch verlegt, macht also fünf. (Foto: Stephan Rumpf)

Der kleine, feine Münchner Austernbank-Verlag von Bettina Deininger setzt ganz auf französische Autoren - in der Buchhandlung Isarflimmern stellt nun Arnaud Dudek seinen neuen Roman vor

Von Antje Weber

Man muss es sich leisten können, sie schlürfen zu dürfen. Und nicht jedem mag es schmecken, lebende Wesen zu verschlucken. Doch Austern gelten als gesunde, ja aphrodisierende Delikatesse, insbesondere in Frankreich. Warum also nicht einen Verlag, der sich auf feine französische Literatur spezialisiert, Austernbank Verlag nennen?

Für Bettina Deininger passt das Bild der Austern jedenfalls sehr gut zur Literatur. "Sie haben eine harte Schale", sagt sie, wie die festen Einbände von Büchern. "Man muss wissen, wie man sie öffnet", fährt sie fort, so wie man bei Büchern wissen muss, wie man sie lesen soll; wie beim Schmecken die Zunge müsse beim Lesen der Geschmack geschult werden. Und: "Austern polarisieren: Man mag sie oder man mag sie nicht." Damit wäre das Profil recht gut umrissen, wobei man sich gar nicht vorstellen kann, dass man diese Verlegerin und ihren Verlag nicht leiden könnte: Die 46-Jährige mit der orangefarbenen Brille wirkt so heiter wie wohlstrukturiert, und auch die Themen ihrer Bücher sollten Leser, um im Bild zu bleiben, problemlos schlucken können.

Es sind allerdings noch nicht so arg viele Leser. Der Austernbank Verlag ist dem breiten Publikum noch nicht bekannt, was damit zusammenhängt, dass Deininger nicht eben viele Bücher macht: Vor fünf Jahren hat sie ihren Verlag gegründet, und in jedem Jahr hat sie bisher ein Buch verlegt, macht also fünf. Gewiss, Austern nimmt man auch nicht in rauen Mengen zu sich, doch ein Problem im Buchhandel ist das schon: "Die Verweildauer eines Buches im Buchhandel ist so kurz", sagt Deininger. Um sichtbarer zu sein, müsste sie mehr Bücher machen. Doch so einfach geht das nicht in einem Ein-Personen-Verlag. In einem Verlag, der im Arbeitszimmer einer Sendlinger Wohnung geführt wird, in der auch noch der Mann und zwei Kinder leben; ganz davon abgesehen, dass die Verlegerin nicht vom Verlegen leben kann, sondern auch noch als Lektorin arbeitet.

Man sollte sich jedoch hüten, ein solches Unternehmen als blauäugig abzutun, zumal Deininger sogleich lachend bittet: "Können wir es nicht idealistisch nennen?" Immerhin hat die Romanistin, die seit vielen Jahren in München lebt, einige Erfahrung: In einem kleinen Regionalverlag hat sie alle Stationen von Lektorat, Pressearbeit bis Vertrieb kennengelernt. Sie hat keine Scheu vor Zahlen, "das Unternehmerische fasziniert mich", und hält das Risiko mit einem Buch pro Jahr klein. Und sie hat die richtigen Mitstreiter, wie die Münchner Grafikerin Anja Wesner, die eine gut wiedererkennbare Gestaltung entwickelte: Auf jedem Buchcover ist neben dem Titel eine Textprobe zu lesen.

Das wohl Wichtigste ist jedoch: Der Verlag hat auch inhaltlich ein klares Profil. "Ich fand, dass es zu wenige Übersetzungen aus dem Französischen gibt", sagt Deininger. "Es werden nur die üblichen Verdächtigen herausgebracht, Bestseller und große Preisträger in großen Verlagen." Auf ihren vielen Reisen durch Frankreich fallen ihr jedoch, ob im Radio oder in Buchhandlungen, in Magazinen oder beim Salon du Livre immer wieder viele weitere Autoren auf. Keine Randfiguren der Szene, sondern "renommierte Autoren, die in Frankreich schöne Auflagen erzielt haben", Preise gewonnen haben. Autoren wie Franz Bartelt, mit dessen Roman "Ich kann nicht sprechen" der Verlag startete, wie Cécile Reyboz, Éric Faye, Yamen Manai und nun Arnaud Dudek.

An Dudeks Roman "Strand am Nordpol", von Deininger übersetzt, kann man gut ablesen, welche Art von Literatur sie anspricht: Sie mag es, "wenn schwere Themen leicht verpackt sind". So ist es auch in diesem bei aller Melancholie federleichten Buch: Eine alte Dame lernt einen sehr viel jüngeren Arbeitslosen kennen; sie gibt ihm seine verlorene Kamera zurück, er bringt ihr die Welt des Computers nahe, eine ungewöhnliche Freundschaft entsteht. Doch der Inhalt steht für Deininger gar nicht im Vordergrund: "Das Wichtigste wird indirekt erzählt, zwischen den Zeilen." So etwas macht ihr, neben guten Dialogen, "sehr viel Spaß". Ebenso wie das Übersetzen, für sie eine "unglaubliche Herausforderung" und "skandalös schlecht entlohnt" - inzwischen ist ihr klar, warum auch gute Bücher oft unübersetzt bleiben.

Wie aber nun Bettina Deininger ihre raren Austern verkauft? Sie hat von Anfang an für buchhandelskompatible Strukturen gesorgt, hat ein Lager und hält ihre Bücher über Grossisten lieferbar. Und sie hat keine Scheu: "Ich marschiere in Buchhandlungen rein", sagt sie. In München fühlt sie sich zum Beispiel von Regina Moths und Bettina Meissner von Isarflimmern ermutigt. Bei Isarflimmern findet, passend zu einer parallel zum Literaturfest laufenden "Woche unabhängiger Buchhandlungen", jetzt auch ein Abend mit Arnaud Dudek statt. Gute Buchhandlungen, das hat Deininger schon früh erkannt, sind für einen Kleinstverlag "Hürde oder Sprungbrett". Und wenn eine Händlerin gar in einem Branchenmagazin ein Buch empfiehlt, ist schnell einmal eine Auflage - deren Höhe Deininger nicht verraten mag - verkauft.

Überhaupt sieht die Verlegerin "erfreuliche Entwicklungen" - bei allem Lehrgeld, das sie hat zahlen müssen, bei aller Ernüchterung darüber, dass Enthusiasmus nicht immer ansteckend ist. Dass Frankreich im nächsten Jahr Gastland der Frankfurter Buchmesse sein wird, eröffnet ihr neue Möglichkeiten: Ihr kleiner Verlag wird wahrgenommen, ernst genommen. 2017 will Bettina Deininger deshalb erstmals gleich zwei Bücher herausbringen: Das delikate Geschäft mit den Austern sollte man eben nicht auf die lange Bank schieben.

Buchpräsentation des Austernbank-Verlags mit Arnaud Dudek: Di., 15. Nov., 20 Uhr, Isarflimmern, Auenstr. 2

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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