Literatur:Punkt, Punkt, Komma, Strich

Lesezeit: 2 min

Fasziniert von der Ambivalenz der Kunstwelt: der britisch-kanadische Autor Tom Rachman. (Foto: Alessandra Rizzo)

Bestseller-Autor Tom Rachman hat ein Buch über Künstler geschrieben

Von Yvonne Poppek, München

Künstler sind bei Tom Rachman ambivalente Figuren, ebenso anziehend wie abstoßend. Sie dürfen sich herausnehmen, was anderen verboten ist. Bei ihnen bleibt es bewundernswert, denn neben ihnen schillert ihr Werk, von dessen Entstehung niemand weiß und dessen Qualität die wenigsten beurteilen können. Die Welt der Kunst hat den britisch-kanadischen Bestseller-Autor so sehr fasziniert, dass er darüber einen 400-seitigen Roman geschrieben hat. Warum? "Die Kunstwelt bringt außergewöhnliche und vielschichtige Menschen hervor. Aber es ist auch das Terrain von Scharlatanen und Heuchlern. Für einen Erzähler ist das verführerisch", erklärt er der SZ.

Also hat er die Geschichte eines ruhmreichen Künstlers und seines ruhmlosen Sohnes aufgeschrieben. Die missglückte Vater-Sohn-Beziehung ist für ihn der Hintergrund, vor dem er von einem oftmals hässlichen Schaffensprozess großartiger Kunst erzählt. Am Freitag, 21. September, kommt Tom Rachman mit "Die Gesichter" (dtv) ins Literaturhaus.

Die zentrale Figur des Romans ist Pinch Bavinsky, Sohn des verehrten Malers Bear Bavinsky. Pinch ist unscheinbar, unsicher und vollkommen fokussiert auf seinen Vater, der eine Künstlerpersönlichkeit par excellence darstellt: egomanisch, aufbrausend, aber charmant. Er ist chronisch untreu, pflegt stets mehrere Beziehungen, heiratet ab und zu und zeugt 17 Kinder. Pinch verfügt selbst über großes malerisches Talent, was sein Vater ihm aber, von Neid und Eigeninteresse geleitet, ausredet. Pinchs Leben verläuft trist, bis es ihm gelingt, nicht mehr Bears Erfüllungsgehilfe zu sein, sondern die Dinge zu wenden.

Obsessionen, Neid, Verzweiflung, Egomanie und Einsamkeit, eben all jene großen Gefühle, die der Kunstwelt gerne zugeschrieben werden, verpackt Rachman in seinem Buch. Und wie schon in seinem bestechenden Journalisten-Roman "Die Unperfekten" gelingt es ihm, diese Klischees für seine Figuren zu instrumentalisieren: Die gängigen Attribute umgeben seine Figuren wie Hüllen, in deren Schutz sich komplexe Geschichten, Persönlichkeiten und nicht zuletzt gesellschaftliche Fragen entfalten. Bear Bavinsky - so sieht es Rachman selbst - "ist ein vielschichtiger Charakter, der den Menschen in seiner Umgebung schadet. Aber viele Künstler - besonders ausbeuterische - spielen oft die Rolle des Künstlers und erreichen so getarnt noch mehr." Wenngleich diese Einschätzung sehr vertraut mit der Materie klingt, gibt Rachman an, viel für "Die Gesichter" recherchiert zu haben. Einerseits bereiste er die Schauplätze in Europa und den USA nochmals neu, obwohl er sie aus seinem Berufsleben kannte - Rachman war früher Auslandskorrespondent in Rom und Redakteur in Paris. Zum anderen befasste er sich intensiv mit Malerei, interviewte Künstler, Kunsthändler und Sammler, besuchte Ausstellungen und Galerien, las Künstlerbiografien.

In leichtem Erzählton und eingebunden in einen handlungsgetriebenen Plot legt Rachman im Buch seine Ergebnisse dar und streut Zweifel, ob "Charisma und Ruhm wirklich bedeuten, dass jemand ein großer Künstler ist". Die Gesellschaft neige zu dieser Einschätzung: "Werden die Großen der Kunst gerecht gewählt? Wir gehen davon aus, dass mit der Zeit die Besten anerkannt und die Zweitklassigen aussortiert werden. Aber 'Die Gesichter' zeigt, wie viele Faktoren bestimmen, was in einem Museum hängt", erklärt Rachman. Trotz dieser Ambivalenz zeigt sich der Autor fasziniert von bildenden Künstlern, von "ihrem Glück und ihrer Pein". Denn: "Ich selbst kann kaum ein Strichmännchen zeichnen."

Tom Rachman: Die Gesichter , Lesung: Freitag, 21. September, 20 Uhr, Literaturhaus München

© SZ vom 21.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: