Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Auf die Bühne der Whitebox treten zwei aufreizend weiß-rot gekleidete Gestalten mit weißen Perücken. Die eine ist Lisa Jeschke aus München, sie wird gleich den Hamlet geben. Die andere ist Lucy Beynon aus England, sie stellt sich als Enoch Powell vor, ein nationalistischer britischer Politiker des 20. Jahrhunderts. Was folgt, ist eine Performance aus dem, nun ja, britischen Innenministerium. In englischer Sprache geht es um Politik, Geschichte, Frauenfrage, Identitätskrisen; am Ende auch noch um Ophelia, und natürlich soll sie sterben. Was das Ganze soll? Es handelt sich um ein "Brexit Projekt" - eine komplexe Angelegenheit eben, die sich hinzieht.
Eines jedenfalls zeigen die Performerinnen: Es gibt wirklich eine große Bandbreite lyrischen Sprechens, und beim dreitägigen Schamrock-Festival für Dichterinnen waren ziemlich viele unterschiedliche Varianten zu erleben. Das nunmehr vierte Festival fand diesmal an neuem Ort statt, in der Whitebox im Werksviertel - eine gute Wahl, denn die nüchterne Funktionalität der Whitebox kontrastiert schön mit der ja doch oft auf Emotion setzenden Lyrik; auch die technischen Möglichkeiten sind dort größer, was die Veranstalter Augusta und Kalle Laar begeisterte. Die Professionalisierung des Festivals schreitet also weiter voran; jetzt wünschte man sich nur noch ein etwas konsequenteres Zeitmanagement. Doch so ein Festival braucht natürlich auch Raum und Zeit zum Netzwerken, schließlich geht es hier nicht zuletzt um die Selbstvergewisserung einer Szene, wie auch bei einer Diskussion von Veranstaltern deutlich wurde. Ein Massenpublikum zieht ein Lyrikerinnen-Festival ohnehin nicht an. Doch es geht dabei ja auch um "Literatur als soziale Praxis", wie der Münchner Dichter und Veranstalter Tristan Marquardt zusammenfasste.
Eine, die das seit Jahrzehnten pflegt, ist die New Yorker Beat-Poetin Anne Waldman. Ihr Auftritt war denn auch - neben vielen internationalen Runden mit georgischen, ukrainischen, Schweizer Dichterinnen - einer der Höhepunkte des Festivals. Waldman kann wirklich mitreißend deklamieren, mit kraftvoller Präsenz, dabei auch mal mit dem Fuß aufstampfend. "Resistance" war ein Wort, das man immer wieder heraushörte, und natürlich gehört für jemanden wie Waldman auch der Protest gegen Trump zur sozialen Praxis. Gleich nach ihr trat dagegen eine Künstlerin auf, die auf Worte verzichtet: Audrey Chen aus den USA steht für die Kooperation mit "Heroines of Sound", einem Berliner Festival für elektronische Musik von Frauen. Chen arbeitet nur mit ihrer Stimme, gurrt, fiept, schreit in zum Teil ohrenbetäubender Lautstärke, elektronisch verzerrt. Das klingt dann schon mal wie ein gigantischer Tinnitus; eine wieder ganz andere Art des lyrischen Sprechens, und garantiert mit Nachhall.