Literatur:Lichtbilder

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Der tschechische Autor Jan Němec hat einen Roman über den Fotografen František Drtikol geschrieben, der in München zum Künstler reifte

Von JÜRGEN MOISES

Sein Lebensweg führte František Drtikol (1883-1961) vom äußeren Licht der Welt zum innerem Licht der Erkenntnis. Und aus dem ersten tschechischen Fotografen von Weltrang wurde einer der ersten tschechischen Buddhisten. Eine ungewöhnliche Biografie, die genauso wie das fotografische Werk von Drtikol in München wohl nur wenigen bekannt ist. Dabei spielte die Stadt, die um 1900 in Osteuropa als "Athen an der Isar" galt, in Drtikols Fotografen-Laufbahn eine wichtige Rolle. Denn nach einer Fotografenlehre in seiner Heimatstadt Příbram hat Drtikol von 1901 bis 1903 an der Münchner Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie studiert. Hier wurde er durch Lehrer wie Georg Heinrich Emmerich und die Schwabinger Bohème geprägt, von der künstlerischen Sprache des Symbolismus und Jugendstils. Hier hat er in der Ausbildung erfahren, wie sehr nicht nur die Fotografie, sondern die gesamte Menschheit abhängig ist vom Licht. Und vor allem, dass Fotografie mehr sein kann als Chemie und Technik, nämlich eine neue, eigenständige Kunst.

Jan Němec hat seinen Roman über František Drtikol in der zweiten Person geschrieben - so schafft er den fiktiven Dialog zwischen Hauptfigur und Autor. (Foto: Anna Nadvornikova)

Dass die Zeit in München "ein Schlüsselerlebnis" für Drtikol war und ihn "für viele Jahre" geprägt hat, das sieht auch Jan Němec so. Der tschechische Autor hat mit der "Geschichte des Lichts" einen Roman über den Fotografen geschrieben und wurde dafür 2014 mit dem Tschechischen Buchpreis und dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet. Drtikols Lehrzeit in München widmet Němec darin ein eigenständiges Kapitel, aus dem er am Dienstagabend in der Hochschule für angewandte Wissenschaften lesen wird. Für dessen Recherche hat der 33-Jährige schon vor drei Jahren mehrere Tage in München verbracht. "Ich denke, es war im Februar, ein harter Winter, die Temperaturen bewegten sich um die minus 20 Grad. Ich ging damals in die Pinakothek, den Englischen Garten, besuchte ein paar Jugendstilvillen", so Němec, der in Tschechien als TV-Dramaturg und Herausgeber der Monatszeitschrift Host arbeitet. Vor seinem leider noch nicht auf Deutsch erschienenen Roman hat er bereits Kurzgeschichten und Gedichte veröffentlicht.

Die Tatsache, dass die in Kooperation mit dem Tschechischen Zentrum veranstaltete Lesung im großen Hörsaal der Fakultät für Design, Bereich Fotodesign, stattfindet, ist kein Zufall. Führt der Studiengang "Fotodesign" doch gewissermaßen die Tradition der 1900 gegründeten Lehr- und Versuchsanstalt fort, die 1928 in Bayerische Staatslehranstalt für Lichtbildwesen umbenannt wurde und bis 1990 existierte. Mit etwas Fantasie könnte man also sagen, dass František Drtikol über literarische Umwege nun an seinen alten Studienort zurückkehrt. Was man als Einstimmung auf die Lesung vielleicht noch wissen sollte: Jan Němec hat seinen Roman überwiegend in der zweiten Person geschrieben. Also in der selten gebrauchten Du-Form, wodurch der Text wie ein fiktiver Dialog zwischen Autor und Hauptfigur klingt. Ein literarischer Kniff, der den Eindruck emotionaler Intimität erhöht und zum Schluss seine überraschende Erklärung findet. Aber diese sei hier nicht verraten.

Jan Němec: Eine Geschichte des Lichts, Lesung, Di., 19.30 Uhr, Hochschule München, Raum 202 (Großer Hörsaal), Infanteriestr. 14

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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