Literatur:Langzeitstudie

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Katharina Adlers Debüt handelt von Freuds Patientin - ihrer Urgroßmutter

Von Yvonne Poppek, München

Sigmund Freud zeigte sich durchaus zufrieden: "Dennoch bin ich geneigt, den therapeutischen Wert auch so fragmentarischer Behandlungen, wie die Doras war, nicht gering zu veranschlagen", schrieb er - nicht ganz uneitel - in seinen "Bruchstücken einer Hysterie-Analyse" nieder. Ein Jahr Therapie hatte er seiner Patientin eigentlich verordnet. Nach elf Wochen brach die 18-Jährige die Behandlung ab. Selbständig. Dennoch wurde sie unter dem Pseudonym "Dora" eine von Freuds berühmtesten Patientinnen. Eine für die junge Frau wohl eher zweifelhafte Ehre. Doch auch eine, die mehr als hundert Jahre später immer noch fasziniert.

Die Münchner Autorin Katharina Adler hat im Teenager-Alter das erste Mal von Ida Bauer - so der damals tatsächliche Name von "Dora" - gehört. Beiläufig, wie sie erzählt. Aber nicht zufällig: Ida Bauer, die nach ihrer Hochzeit Ida Adler hieß, ist Katharina Adlers Urgroßmutter. Viel sei über diese Urgroßmutter, die 1882 in Wien geboren wurde und 1945 in New York starb, in der Familie nicht geredet worden, erzählt Adler. Ihr seien im Wesentlichen zwei gegensätzliche Einschätzungen bekannt gewesen. Zum einen, dass Ida Adler eine der "schlimmsten Hysterikerinnen" gewesen sei. Zum anderen, dass sie über Humor und einen schnellen Verstand verfügt habe. Diese beiden Pole waren für Adler schließlich der Anlass, das Leben der Urgroßmutter weiter zu erforschen - "aber literarisch", wie sie sagt. Entstanden ist daraus nun ihr 500 Seiten starker, beeindruckender Debütroman mit dem schlichten Titel "Ida" (Rowohlt), den sie an diesem Mittwoch im Literaturhaus vorstellt.

Das Buch umfasst weit mehr als jene elf Wochen Therapie bei Sigmund Freud, auch wenn diese das kraftvolle Zentrum bilden. Katharina Adlers Roman setzt ein im Jahr 1941 mit der Ankunft der Protagonistin in New York. Es ist das Ende ihrer Flucht, zu der der nationalsozialistische Terror die Tochter eines jüdischen Textilunternehmers gezwungen hatte. Verhärtet, scharfsinnig und spitzzüngig zeichnet Adler sie hier. Aber eben nicht ohne Wärme, die die bald 60-Jährige gut zu verbergen sucht. Im nächsten Kapitel erscheint dann die 18-jährige Ida, die mit vorgerecktem Kinn das Haus in der Berggasse 19 verlässt, Freuds Praxis: Die selbstbewusste junge Frau hat die für sie völlig absurde Therapie abgebrochen. Niemand, so nimmt sie sich vor, würde ihr jetzt mehr etwas einreden. Dann wieder ein Zeitsprung im folgenden Kapitel zur Zehnjährigen, die ähnlich klug wie ihr Bruder Otto nicht dieselbe Ausbildung erhält, dafür aber permanent krank ist: Stimmverlust, Husten, später Ohnmachtsanfälle und Selbstmordabsichten. Kreisförmig bewegt sich der Roman auf diese Art fort, komplettiert Stück für Stück eine komplexe Frauenfigur.

"Für mich war der Interessenspunkt jenseits von Freud", sagt Katharina Adler. Die heute 38-Jährige, die amerikanische Literaturgeschichte in München und später Literarisches Schreiben in Leipzig studiert hat, hatte sich zwar mit dem "Fall Dora" befasst. Doch mehr noch interessierte sie eben die Person, die dahintersteht. Also begann sie zu recherchieren und parallel zu schreiben. Sie besuchte die ehemaligen Wohn- und Aufenthaltsorte, und sie suchte in Archiven. Dass sie hier so fündig wurde, liegt auch an dem Umstand, dass das Leben von Idas Bruder gut dokumentiert ist: Otto Bauer war ein sozialdemokratischer Theoretiker, Begründer des Austromarxismus, ein Jahr lang österreichischer Außenminister, eine bedeutende Person der Zeitgeschichte eben. Im Roman ist er indes nur in der Beziehung zur Protagonistin interessant, Ida tritt zumindest in diesem Buch aus dem Schatten des Bruders.

Die Idee, über ihre Familiengeschichte zu schreiben, sei vor zehn Jahren entstanden, erzählt Adler. Vier Jahre lang trug sie den Gedanken mit sich herum, schrieb damals noch an kürzeren Formen, Theatertexten und Essays, sie realisierte einen Kurzfilm. In dieser Zeit lebte sie in Berlin, gründete mit anderen Autoren wie Saša Stanišic, Benjamin Lauterbach, Thomas Pletzinger ein Literaturbüro. Schließlich aber machte sie sich an dieses große Projekt, das sie über mehrere Jahre begleitete und über dessen Ergebnis sie sagt: "Ich staune schon, dass ich es geschrieben habe und dass es so dick geworden ist." Trotz der intensiven und langen Arbeit an dem Buch seien ihr nie Zweifel gekommen, dass sie über das Thema schreiben wolle. "Es war irgendwie klar, dass es einmalig ist", sagt sie.

"Ida" ist - anders, als es die Recherche der Autorin vermuten ließe - keine Biografie geworden, sondern ein belletristischer Text. "Ich bin da sehr persönlich drangegangen", sagt Adler, insbesondere wenn es um die Passagen in jungen Jahren und um die Begegnungen mit Freud ging. Sie habe sich vorgestellt: "Wie wäre es bei mir gewesen?", sagt sie. Dabei habe sie ein anderes Jahrhundert mitdenken müssen, eine Zeit, in der so kluge Frauen wie Ida nicht die gleichen Möglichkeiten hatten wie heute.

Katharina Adler, geboren 1980 in München, hat erst im Teenager-Alter beiläufig von ihrer berühmten Urgroßmutter Ida Adler, geborene Bauer, erfahren. Nun hat sie ihren Debütroman über sie geschrieben. (Foto: Christoph Adler)

Der Roman spannt nun den Bogen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, ist insofern Gesellschaftspanorama, Entwicklungsroman und Familiengeschichte. Im Zentrum steht eine gefährlich glühende Heldin, wendig, klug und bissig. Eine, die zuschnappt, wenn man sie reizt, die aber im Grunde genommen lieber gestreichelt werden würde. Katharina Adler hat für diese scharfsinnige Figur eine passende, schlanke Sprache gefunden. Oder wie sie sagt: "Ich habe der Frau, die an Stimmlosigkeit litt, eine Stimme verliehen." Sie selbst hat sich damit literarisch eindrucksvoll Gehör verschafft. Oder, wie Katharina Adler das sagt: "Diese Frau hat auch mir eine Stimme gegeben."

Katharina Adler: Ida , Buchpremiere, Mittwoch, 25. Juli, 20 Uhr, Literaturhaus München, Salvatorplatz 1

© SZ vom 25.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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