Literatur:Im Strom der Zeit

Lesezeit: 1 min

Aus der Ich-Perspektive erzählt der Autor Harry Kämmerer in seinem neuen Roman "Drachenfliegen". (Foto: Christian Martin Weiss)

Harry Kämmerer beschreibt in "Drachenfliegen" 50 Jahre Leben

Von Antje Weber

München - Der Bunkerberg in Regensburg - dort konnte man in den Siebzigerjahren noch eine wilde Kindheit verleben. Der Berg bestand aus den Überresten einer Flugzeugfabrik aus dem Zweiten Weltkrieg. "Mit verkeilten Betonplatten, aus denen rostige Stahlstangen wie Knochen herausragen, mit Kratern von Granateinschlägen, zugewuchert von dichtem Buschwerk", schreibt Harry Kämmerer in seinem neuen Roman. "Mit einen Wäldchen, in dem wir mit Dachdeckerhämmern und Klappspaten kleine Bäume fällen, Äste und Büsche kappen." Denn Hans und sein Freund Elmar stromern dort durch die Gegend, immer im Clinch mit anderen Jungs. Und immer bemüht, den lästigen Maxi abzuwimmeln.

Der in München lebende Autor Harry Kämmerer, durch etliche Kriminalromane um die Kommissare Mader und Hummel bekannt, schlägt in seinem neuen Roman "Drachenfliegen" (Nagel & Kimche) einmal einen anderen Ton an. Mit viel Liebe zum Detail erzählt er von einer Kindheit in Regensburg und später Passau - und damit, so darf man vermuten, in vielerlei Hinsicht aus dem eigenen Leben. Wie sonst könnte er sich so genau an die Comichefte erinnern, von "Silberpfeil" bis "Lasso", die der Vater sonntags am Bahnhofskiosk springen ließ? Vom unvermeidlichen Cornetto-Eis und gruseligen "Aktenzeichen XY ungelöst"-Sendungen im Fernsehen? Kämmerer erzählt das unaufgeregt und unprätentiös aus zunächst kindlicher Ich-Perspektive. Und damit alles nicht zu freundlich und harmlos wirkt, legt er in dieser Kindheit eine dunkle Fährte aus: Sind die Freunde womöglich schuld am Verschwinden des ungeliebten Kumpels Maxi?

Bis Harry Kämmerer die Frage beantwortet, erfahren die Leser, wie es im Leben des Hans weitergeht, der von Regensburg nach Passau zieht, sich beim Frankreich-Austausch unsterblich verknallt, später in München studiert und arbeitet und eine Familie gründet. Und der schließlich - wie auch sein Autor - 50 Jahre alt wird und schon ein bisschen damit hadert, dass die Zeit so schnell vergeht: "Trotz aller Lebenslust macht sich immer mehr Angst in mir breit, dass mir die Zeit durch die Finger rinnt", schreibt Kämmerer in "Drachenfliegen". "In meinem Kopf rauschten die großen und kleinen Geschichten im Strom der Zeit vorbei. Fünfzig Jahre sind verdammt lange und doch verdammt schnell vorbei, dachte ich." Dieses Buch ist ein Versuch, sich dem reißenden Zeitstrom entgegenzustemmen.

Harry Kämmerer: Drachenfliegen ; Lesung am Dienstag, 9. April, 19 Uhr, Monacensia, Maria-Theresia-Straße 23, Eintritt frei

© SZ vom 04.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: