Literatur:Familiensache

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Wolfgang Sréter stellt seinen Roman "Milenas Erben" vor

Von Sabine Reithmaier, München

Ein Brief ohne Absender, darin eine Trauerkarte. Milena Bláhová ist gestorben, 93 Jahre alt, in Karlovy Vary, dem einstigen Karlsbad. Alice Freyenfeld hat keine Ahnung, wer die Frau ist. Auf der Rückseite entdeckt sie einen handschriftlichen Hinweis ihrer Mutter: "Beerdigung, Sonntag, 14 Uhr. Auch du solltest der Tante die letzte Ehre geben." So beginnt Wolfgang Sréters Roman "Milenas Erben" (Edition Lichtung). Tatsächlich fährt nicht nur die junge Musikerin zur Beerdigung, sondern die ganze weit verzweigte Familie reist in den tschechischen Kurort. Nicht unbedingt der Tante wegen, zu der es außer Weihnachtskarten kaum Kontakt gab, sondern um bei der Testamentseröffnung dabei zu sein. Immerhin besaß Milena ein Hotel. Und das wäre doch was. Sréter gelingt es auf eine beiläufige und doch sehr präzise Weise, die Hoffnungen, Ängste und Sehnsüchte dieser Menschen zu zeichnen, die sich von Dresden, Würzburg oder Teneriffa her auf den Weg in ein ihnen unbekanntes Land machen. Und natürlich diverse Familienstreitigkeiten mitbringen.

Sréter, 1946 in Passau als Sohn einer deutsch-ungarischen Familie geboren, ist ein vielseitiger Schriftsteller. Wobei das allein als Berufsbezeichnung nicht genügt, denn er arbeitet auch als Fotograf und Dozent. Studiert hat er Volkswirtschaft, Soziologie und Wirtschafts- und Sozialpädagogik. Erst arbeitete er, schon schreibend, noch als Lehrer, doch 1988 wagte er den Sprung ins Dasein eines freien Autors. Nach Kinderbüchern folgen Theaterstücke und Erzählungen; zu nennen wäre vor allem "Traglinger", eine Erzählung, in der ein fiktiver Passauer Stadtarchivar hilflos dem Verfall gewachsener kultureller Strukturen zusehen muss. Bald erhält Sréter für sein Schaffen Auszeichnungen, darunter 1993 das Literaturstipendium der Stadt München, 2000 den Preis des Landestheaters Schwaben, 2005 den Literaturpreis Irseer Pegasus.

Schreiben allein hat ihm nie genügt, in den Jahren 2008 bis 2010 ging er mehrmals für Peace Watch Switzerland als Menschenrechtsbeobachter ins Westjordanland, zeigte die dort entstandenen Fotos und Kurzreportagen auch in Ausstellungen. Doch jetzt hat er wieder einen Roman geschrieben, der ihn als exakten Beobachter ausweist, groß darin, diffuses Unbehagen einzufangen.

Wolfgang Sréter , Lesung am Montag, 29. Oktober, 19 Uhr, Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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