Literatur:Ein Baumhaus auf dem Lande

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Die Kinder der Künstlergemeinschaft um Virginia Woolf.

Von Christine Knödler

Das Haus auf dem Lande wird zur überdimensionalen Leinwand, Wände, Türen, Möbel, alles wird bemalt, wird zum Gesamtkunstwerk. Für Quentin und Julian ist dieses Haus, Charleston, ihr Zuhause. Ihre Mutter ist die Malerin Vanessa Bell, deren Freund der Maler Duncan Grant, ihr Vater der Kunstkritiker Cliff Bell, ihre Tante Virginia Woolf. Sie alle gehörten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der sogenannten Bloomsbury Group an.

Für Autor Rindert Kromhout war Charleston eine zufällige Entdeckung. Auf den Spuren Virginia Woolfs hat ihn das Landhaus derart verzaubert, dass er es zur Kulisse einer außergewöhnlichen Kindheitsgeschichte gemacht und dem Haus wie den Bewohnern ein Denkmal gesetzt hat. Quentin und seinen älteren Bruder Julian lässt Kromhout ein Baumhaus bauen und einander nachts Gruselgeschichten erzählen. Sie gehen zur Schule und fahren zu ihrer Tante Virginia, um dort selbst verfasste Theaterstücke aufzuführen, sie feiern Feste, lauschen den Diskussionen der Eltern und deren Freunde. Dass das berühmte Künstler und Intellektuelle ihrer Zeit sind, ist den Brüdern genauso egal wie die verschiedenen Lebensentwürfe und Liebeskonzepte, die sie ganz nebenbei mitbekommen."

"Wir saßen in unserem Baumhaus und spionierten die Erwachsenen unter uns aus, die am Teich Tee tranken", heißt es an einer Stelle. Es lässt sich wie ein Abbild für die Erzählperspektive lesen: Mit Abstand, aus einem gewissen Überblick heraus, fern und nah genug, unvoreingenommen aus Sicht des Kindes und später des Heranwachsenden, wird Quentin zum Chronisten der Jahre zwischen 1925 und 1937. Persönliche Erfahrungen notiert er dabei genauso wie Ereignisse von weltgeschichtlicher Dimension: der aufkommende Faschismus in Europa. Sätze wie diese hinterlassen dabei Spuren: "Lauft nicht irgendwelchen Schreihälsen hinterher. Glaubt nicht einfach das, was irgendjemand euch erzählt. Denkt immer erst selbst nach". Gerade heute von kaum zu überbietender Aktualität stehen sie im Roman für eines der vielen Gespräche zwischen Erwachsenen und Kindern, der explizit geführten Kunst- und Literatur-Betrachtungen und politischen Debatten.

Indem Rindert Kromhout sie Ich-Erzähler Quentin nachvollziehen lässt, gelingt ihm ein bemerkenswertes Kunststück: Er macht sie Kindern im doppelten Sinn des Wortes zugänglich und führt über die exakt recherchierten biografischen Bezüge hinaus grundsätzlich vor, wie Menschen denken, fühlen, handeln können. Quentin wird Schriftsteller werden. Julian wird sich als überzeugter Kommunist für den Spanischen Bürgerkrieg melden und fallen.

Am Ende ist "Brüder für immer" Kindheitsgeschichte, Künstlerroman, biografisch-historischer Roman. Eine Geschichte des Liebens und Scheiterns, des Ausprobierens, Zweifelns, Weitermachens. Dass sie auch außerhalb des kulturgeschichtlichen Kontexts funktioniert, ist Teil eines Experiments, das aufgegangen ist: Man muss nichts über die Bloomsbury Group wissen, um über Konvention und Freiheit, über Eigenverantwortung, Selbstverwirklichung, politisches Handeln nachzudenken. Aber am Ende weiß man über all das mehr. (ab 12 Jahre und Erwachsene)

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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