Literatur:Die Nachtigall vom Amt

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Der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk beginnt seine Lesereise vor 1800 Zuhörern im Hamburger Schauspielhaus.

Willi Winkler

Die Hamburger Polizei trägt inzwischen ein hochelegantes Dunkelblau, der hochberühmte Luigi Colani hat es im Auftrag des ehemaligen Bildzeitungsschätzchens Ronald Schill exklusiv für die Beamten entworfen. Der ehemalige Innensenator Schill ist mittlerweile aus der Stadt vertrieben, aber wenigstens kann die Polizei sich über ihr abendgarderobefähiges Erscheinungsbild freuen, in dem sie für Hamburger Verhältnisse überraschend zivil wirkt.

Orhan Pamuk im Hamburger Schauspielhaus. (Foto: Foto: dpa)

Vom Hauptbahnhof weht es die Anti-Penner-Beschallung herüber, der Currydunst grüßt urban, ein paar auffällig zivil gekleidete Herrschaften telefonieren so unauffällig, wie es einem kastanienblütenweißen Vorsommerabend zukommt, und im Theater gongt es nun schon zum dritten Male.

Die gut 1800 Plätze im Deutschen Schauspielhaus sind seit langem ausverkauft, denn der Mann, der heute Abend auftreten soll, ist Literaturnobelpreisträger und muss nicht nur deswegen um sein Leben fürchten. Im Februar wollte Orhan Pamuk schon kommen, aber da brachten islamistische Täter einen befreundeten Journalisten um und andere drohten auch Pamuk den Tod an.

In der Türkei ringen Islamisten mit Kemalisten, streiten Gerichte mit Präsidenten, und Frauen demonstrieren massenhaft gegen den Kopftuchzwang, den es in der laizistischen Verfassung der Türkei gar nicht gibt. Wie schon früher hat sich Pamuk dazu in Interviews grundsätzlich geäußert, aber im Theater interessiert ihn das nicht mehr. Er will lesen, er will die Leser seiner Bücher erreichen.

Auf der Bühne sitzen tief in Sessel gedrückt von links nach rechts Pamuks deutscher Verleger Michael Krüger, Hubert Spiegel, der Literatur-verantwortliche der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und der Dichter. Neben ihm, auf einem erhöhten und weit weniger bequemen Stuhl, hat Recai Hallaç Platz genommen, der so geschwinde hin und her übersetzt, dass der Dichter manchmal wie die Sprechpuppe eines fröhlichen Bauchredners wirkt.

Der Abend hat auch etwas Zirzensisches. In der Hoffnung auf Katastrophisches sind gleich dutzendweis Kamerateams und mit Zooms schwerstbewaffnete Fotografen erschienen. Es blitzt und blinkt, denn, wer weiß?, vielleicht passiert ja doch was, kommt ein Messer zum Vorschein oder dass einer wenigstens den Autor beschimpft, als Verräter an der Türkei, an Kemal Atatürk, irgendwas.

Aber es passiert nichts.

Es ist eine gewöhnliche Lesung, unterbrochen von den Fragen, die Hubert Spiegel an den Autor richtet. Der äußert sich routiniert zu seinem Schreiben und insbesondere zu seinem Buch über seine Heimatstadt Istanbul. Sein Blick auf die Stadt, verrät er dann doch dem deutschen Publikum zulieb, verbinde die beiden Ansichten, die Walter Benjamin unterschieden habe: den exotischen Blick und jenen einheimischen, der sich von der Erinnerung nährt. Dann liest er wieder.

In einer Sprache, in der das Wort für das Amt (müdürlügü) kaum weniger poetisch klingt als jenes für Nachtigall (bülbül), kann ein Dichter nur gewinnen. Der Dichter Pamuk liest in gekonnt atemlosen Tempo einen monströsen Satz, der aus (der Moderator Spiegel hat nachgezählt) 155 Zeilen besteht, unterbrochen nur einmal vom Beifall jener vielleicht zwanzig Prozent unter den Zuhörern, die das Türkische verstehen.

Michael Krüger liest die Passage anschließend mit seiner markanten Stimme auf Deutsch, und der türkische Gesang erweist sich als eine schier unendliche Reihung von poetischen Szenen, aus denen sich für Pamuk das heimatliche Istanbul zusammensetzt, die Stadt seiner Kindheit in den Fünfzigern, die Stadt seines Erwachsenwerdens, die Stadt des in Europa wohlbekannten kranken Mannes am Bosporus.

Pamuk häuft diese Bilder an wie Benjamins Lumpensammler in der Morgenfrühe der Revolution, nur dass er sich hier in Hamburg auf die Poesie beschränkt und von Politik, geschweige denn einer Revolution fast nichts wissen will. ,,Mein Ziel ist es, gute Bücher zu schreiben.''

Herren von zweifelhafter Literaturkompetenz

Niemand muss deshalb enttäuscht sein, und schon gar nicht darüber, dass gewalttätige Szenen dann doch ausgeblieben sind. Der Dichter ist auch ohne Statements zum Brückenbau und zum Mitteln zwischen Ost und West ein Held für seine Leser. Wie vom Moderator Spiegel angeordnet, stauen sich anschließend die Besucher mit den Büchern unterm Arm links von der Bühne und gehen rechts ab.

Vier Herren von zweifelhafter Literaturkompetenz umäugen den Dichter, kontrollieren blickrasch Rucksäcke und größere Taschen, schätzen das sich bis weit ins Foyer stauende Volk der Leser ab. Viele Türkischstämmige sind darunter und damit viele Originalausgaben unter den Büchern, die dem Autor vorlegt werden.

Es geht so schnell wie das Brezenbacken: Eine Assistentin empfängt die Bände, schlägt sie bis zur Titelseite auf, reicht sie an den links von ihr sitzenden Autor, der rasch seinen Namen schreibt und dem Fan dann lächelnd das Werk zurückgibt. Nein, mehr als den Namen gibt es nicht, aber der Name ist schließlich heilig.

Der Nächste, die Nächste bitte. Pamuk hat aber nichts dagegen, wenn ihn nach dem Gewitter der Fotografen und dem Schweinwerferlicht der sensationsgierigen Profis schlichte Leser mit dem Handy fotografieren. Nur als ein Fan gleich mit sechs Bänden ankommt, schiebt er den Ärmel seiner Anzugjacke zurück und schaut auf die Uhr. Eine geschlagene Dreiviertelstunde lächelt, schreibt, lächelt er, und erst gegen Ende reagiert er auf türkische Grüße und erwidert etwas in der fremden Sprache.

Ein in ein wildes Stilgemisch aus Tokio Hotel und Türken-Gang gekleideter junger Mann stellt sich bärig neben den eher schmächtigen Autor, legt ihm die Pranke auf die Schulter und lässt sich von einem Freund fotografieren. Die Leibwächter wehren es ihm nicht. Der Autor lächelt noch immer. Ein Polizist ist unter den Letzten, die nach vorn streben. Auch er lässt sich den Namen in ein Buch schreiben, und erst als er von der Bühne kommt, setzt er die Dienstmütze wieder auf. Sogar die Polizei liest! Es ist das Wunder von Hamburg.

© SZ vom 4.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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