Literatur aus Argentinien:Am Dienstag wird alles anders

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Pedro Mairal: Auf der anderen Seite des Flusses. Roman. Aus dem Spanischen von Carola S. Fischer. Mare Verlag, Hamburg 2020. 173 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)

Pedro Mairal baut in seinem Erfolgsroman ein altes Männerklischee auf, um es zu brechen.

Von Agnes Striegan

Lucas Pereyra glaubt, er habe einen glücklichen Tag vor sich. Wenn er nur endlich die 15 000 Dollar von der Bank geholt hat, die er für zwei noch ungeschriebene Bücher bekommt, wenn er mit dem Geld die Schulden bei seiner Frau, dem Kindergarten, der Krankenversicherung abbezahlt, und wenn er in einem Hotelzimmer im zwanzigsten Stock mit seiner Geliebten geschlafen hat, wenn er sich dann endlich Zeit zum Schreiben erkaufen kann, dann ist alles wieder gut. Aber Wollen und Wirklichkeit driften weiter und weiter auseinander in Pedro Mairals Roman "Auf der anderen Seite des Flusses". Vordergründig erzählt er eine gewöhnliche Geschichte über Begehren und Betrug, wie nebenbei beschreibt er aber auch, wie unflexibel die Vorstellung von Beziehung, Ehe und Familie sein kann.

Mit diesem kurzen, poetischen Roman gelang Mairal sein internationaler Durchbruch; in Argentinien und Spanien wurde er zum Bestseller. Es ist das Porträt eines nicht mehr ganz jungen argentinischen Schriftstellers, der wieder jemand sein möchte, der ausbricht. Eigentlich ein abgedroschener Charakter. Aber eine leichtfüßig geschriebene Geschichte. Man kann sich ärgern über diesen tausendsten Mann, der in der Midlife-Crisis ein sexuelles Abenteuer sucht, aber dann wird seine traurige Lächerlichkeit eben auch endlich einmal reflektiert. Und zwar einfühlsam.

Lucas Pereyra fühlt sich also in seiner Beziehung gefangen: "Du wirst mit dem anderen symmetrisch, die Stoffwechsel synchronisieren sich, du funktionierst spiegelbildlich; ein zweiteiliges Wesen mit einem einzigen Wunsch." Lieber, glaubt dieser Mann, würde er ein Künstlerleben führen, unabhängig, authentisch, sexuell erfüllend. So das Stereotyp. Eines Dienstagmorgens überquert er mit der Fähre von Argentinien nach Uruguay den Río de la Plata, den silbernen Fluss oder den Fluss des Geldes, um bei einer Bank in Montevideo sein Honorar abzuheben und es zurück nach Argentinien zu schmuggeln. Mit dem Geld will er seine Selbstachtung zurückkaufen und die Achtung seiner Frau Catalina, will ein Hausmädchen anstellen, das sich ums Staubsaugen kümmert und um seinen vierjährigen Sohn Maiko. Davor will er mit einer Frau schlafen, die er auf einem Literaturfestival kennengelernt hat. Ein dickes Bündel Geldscheine im Bauchgurt, läuft er mit ihr durch Montevideo, trinkt, raucht, bis sie ihm am Strand einen bläst und Lucas einen Fußtritt im Rücken spürt. Mit einer angebrochenen Rippe, dafür ohne das Geld, in das er so viel Hoffnung gesetzt hat, kehrt er zurück zu Catalina. Ein bisschen formelhaft ist der Plot vielleicht - aber genau das Formelhafte soll ja freigelegt und kritisiert werden.

Lucas spricht von sich als "Macho, fertig, erledigt." Erledigt vielleicht, aber auch freier

Am Ende des Romans erfährt man, dass sich Lucas und Catalina schließlich trennen. Mairals Buch liest sich wie eine Rechtfertigung oder, wohlwollender, wie eine Erklärung. Lucas schreibt für Catalina eine Chronologie jenes irren Dienstags, an dem alles in sich zusammenbrach, um wieder neu zusammengesetzt zu werden. Vielleicht erzählt er es aber auch sich selbst. Zu Beginn ist sein Ton trotzig, nur selten blitzt die bitter nötige Selbstreflexion auf: "Ich hatte keine Ahnung und führte mich auf, als sei ich der Überlegene." Aber je mehr Lucas' Dienstag in der Erzählung den Bach runtergeht, desto trauriger, bescheidener, ehrlicher wird der Erzähler. Und desto gewinnbringender liest sich seine Geschichte. Zum Schluss spricht Lucas von sich als "Macho, fertig, erledigt." Erledigt vielleicht, aber auch freier.

Nicht nur tut es Lucas gut, sich von der Konvention des "aufregenden Liebeslebens" zu befreien: In Mairals Roman nehmen Familie und Partnerschaft dann auch neue Formen an. Catalina hat sich in eine Frau verliebt, und als Lucas es erfährt, wird ihm heiß und kalt. Das muss er erst verarbeiten, du bist doch nicht lesbisch, magst du keine Männer mehr? Eine Paradedemonstration zumindest internalisierter Homophobie. Nach einer Weile will Lucas immerhin mit Catalina, ihrer Partnerin und Maiko in den Urlaub fahren. Seine Geliebte feiert inzwischen die erste Dreierhochzeit in Montevideo, in einer ausgedachten Zeremonie heiratet sie ihren Freund und ihre gemeinsame Freundin. Man müsse wohl umdenken, geht dem Schriftsteller auf: "Wir sind mit dieser Vorstellung von Familie aufgewachsen, die uns mit Angst erfüllt hat, als wir ihre Risse entdeckten. Ich nehme an, dass sich die Idee von Familie gewandelt hat."

Schließlich scheint Mairals Buch auch von sich selbst zu handeln: Anstelle des rasanten, überladenen Abenteuer-Epos, das Lucas eigentlich schreiben wollte, arbeitet er am Ende an einem Roman: "Ohne Abenteuer im Amazonas, es gibt weder Drogen noch Schießereien noch Messerattacken, nur ein paar Fußtritte auf der anderen Seite des Flusses."

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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