Literarischer Marktplatz:Wischen oder Lesen

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Wir schaffen es, wir wissen nur nicht, wie lange es dauert, meint Kirsten Boie. Sie hofft, dass es gelingt, neben dem Digitalpakt auch einen Lesepakt in den Schulen zu etablieren. Das erste Ziel: ein Schulbibliotheksgesetz.

Von Roswitha Budeus-Budde

Wer wird sie lesen die neuen Herbstbücher, die den Markt überfluten? Wie bringt man die digital natives dazu, neben den elektronischen Medien wieder zu Gedrucktem zu greifen, zu den neuen Romanen von Cornelia Funke, Katja Brandis, Ursula Poznanski oder Zoran Drvenkar?

Beim Streifzug durch die Verlagskataloge fällt auf, dass ein Relaunch der Erstlesebücher stattgefunden hat. Unter neuen Reihentiteln wird nicht nur Bewährtes gemischt, sondern es ist auch Literatur zu finden, wie sie schon der Moritz Verlag, das Klett Kinderbuch und der Tulipan Verlag für Erstleser veröffentlichen. Mit Geschichten, die ohne didaktische Vorgaben, lebendig, witzig, nur mit dem Ziel erscheinen, Kinder und vorlesende Eltern nicht zu langweilen - eine neue Lesekultur in der Familie?

Vielleicht hat diese Entwicklung auch "Die Hamburger Erklärung", initiiert von Kirsten Boie, ausgelöst, in der sie auf die Mängel des Leseunterrichts in der Grundschule hinweist. Zu viele Kinder lernen nicht, die Texte, die sie lesen, zu verstehen. Die Medienresonanz auf diese Aktion, in der 116000 Unterschriften am 6.12. 2018 der Ministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, überreicht wurden, war zuerst groß. Aber verpuffte schnell, wie Kirsten Boie auf die Frage, ob es schon Reaktionen gibt, feststellte: "Mein Eindruck, es ist dann schnell wieder versandet, es ist nichts passiert, die Relevanz ist in der Kulturpolitik offenbar noch nicht angekommen. Wir brauchen eine bundesweite Initiative und das schafft die Kultusministerkonferenz nicht allein. Auch Familien- und Sozialministerien müssen einbezogen werden. In der Politik ist das auf Eis gelegt worden, es fehlt eine große Lobby. Ich warte immer noch auf ein Treffen mit dem Börsenverein des deutschen Buchhandels und der Stiftung Lesen, das schon auf der Leipziger Buchmesse geplant war."

Die Kulturlobby ist zur Zeit damit beschäftigt, den Digitalpakt in den Schulen zu installieren. Das wird mit viel Geld und dem Rückenwind der globalen Mediengiganten auch gelingen, doch es muss ein Lesepakt folgen, sonst lernt die junge Generation nur noch das Wischen auf dem iPad und das Tippen auf dem Handy.

Der erste Schritt dazu ist der Kampf um ein Schulbibliotheksgesetz, um einen Platz für Bücher, die viele Kinder zu Hause nicht mehr finden. In den Freistunden, an langen Schultagen, ist hier ist der richtige Ort, nach eigenem Lesestoff zu suchen, denn die Altersgrenze zwischen Kindheit und Jugend verschwimmt. Viele Elfjährige lesen längst Jugendbücher. Beim Oetinger Verlag werden sie inzwischen Early Teens genannt und neue Herbstbücher, zum Beispiel von Frida Nilsson oder Katja Reider, wollen direkt diese Leser erreichen. Vielleicht können so auch Jungs, die schwierigste Lesergruppe überhaupt, wieder für Gedrucktes begeistert werden?

Kirsten Boie als Optimistin, glaubt fest an den Lesepakt: "Wir schaffen es. Wir wissen nur nicht, wie lange es dauert." Und appelliert an jeden, Lesenlernen und die Lust zum Lesen zu einem eigenen Anliegen zu machen.

© SZ vom 16.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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