Liedermacher wird siebzig:Manfred Maurenbrecher

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Der Liedermacher und Autor Manfred Maurenbrecher 2019 in Berlin. (Foto: Regina Schmeken)

Von Max Dax

Manfred Maurenbrecher, der am 2. Mai siebzig Jahre alt wird, blickt zurück auf Hunderte Songs und bald dreißig Albumveröffentlichungen. Gerade erst im März erschien sein neuestes Studioalbum "Inneres Ausland", in dem es unter anderem um gesellschaftliche Isolation, das Schüren von Angst, den von Sahra Wagenknecht vertretenen linken nationalen Sozialismus, der rechte Linke in der Partei zu halten versucht, oder das edle Gemeinschaftsgefühl geht, das sich einstellt, wenn verschiedenste Menschen im Chor zusammen singen.

Aufgenommen lange vor Covid-19, wirken die 16 neuen Lieder wie Kommentare zu einer unheimlichen Gegenwart, in der die Menschen auf Abstand gehen, zunehmend Angst verspüren, die Grenzen tatsächlich geschlossen sind und in Italien wildfremde Menschen Abend für Abend auf Balkonen Lieder intonieren, um ihre Stimmen zu einem mutspendenden Chor anwachsen zu lassen.

Übersetzt in die Songlyrik Manfred Maurenbrechers: "Und wie der wilde Klang so frei nach draußen zieht / Singen rauhe Kehlen als ihr Abschiedslied: / Der schönste Platz, den ich auf Erden fand, / War'n unsre Spuren in dem heißen Sand."

"Die Welt ist eine Erfindung der anderen, und mir wird nichts gescheh'n"

Schon immer hat Manfred Maurenbrecher extrem genau beobachtet und feine Haarrisse in der Gesellschaft ebenso wahrgenommen, wie er zwischenmenschliche Verwerfungen spürt. Das, was er sieht, übersetzt der Sänger, der einst über Hans Henny Jahnns Frühwerk promovierte, in poetische Textflüsse ohne Ufer - vertonte Gedichte, die immer wieder übervoll sind mit Momenten größter Genauigkeit. Wenn sich dann in der Zwischenzeit die Welt verändert, passen die Lieder trotzdem. Auf "Viel zu schön", dem besten Album Maurenbrechers aus den Achtzigerjahren, singt er in dem Song "Zentrum des Bösen" die sibyllinischen Zeilen: "Die Welt ist eine Erfindung der anderen, und mir wird nichts gescheh'n".

Betrachtet man die manchmal ungelenke Selbstinszenierung Maurenbrechers auf seinen neueren Plattencovern, könnte man glatt vergessen, dass er zu Zeiten von "Viel zu schön" ein Popstar hätte werden können. In der damals kleinen, aber einflussreichen Westberliner Musikszene hatte er Herwig Mitteregger kennengelernt, den Songschreiber, Schlagzeuger und einer der Sänger von der damals sehr erfolgreichen Band Spliff. Gemeinsam mit Spliff nahm Maurenbrecher seine ersten Soloalben für CBS auf, viel Aufwand wurde getrieben, einen schwer zu vermarktenden, dafür aber talentierten Künstler zu einem deutschen Leonard Cohen aufzubauen. "Viel zu schön" hing damals wie selbstverständlich in den Schaufenstern der Schallplattenläden neben "1/2 Mensch" von Einstürzende Neubauten.

Als sein Plattenvertrag 1989 wegen des ausbleibenden großen Erfolgs nicht verlängert wird, verwandelt sich Maurenbrecher zurück zum Liedermacher, der in wechselnden Besetzungen, immer wieder aber mit dem Saxophonisten Richard Wester, rastlos landauf, landab die kleinen Bühnen abklappert. Er bekommt für seine Arbeit Kleinkunst- und Kritikerpreise, vor allem aber erscheint alle paar Jahre ein herausragendes Album, zuletzt im Jahr 2018 "Flüchtig". An diesen außergewöhnlichen Gipfel in Maurenbrechers Spätwerk mag sein neues Album "Inneres Ausland" nicht ganz heranreichen. Genug tolle Momente hat es gleichwohl und eine gute Zeile zum 70. Geburtstag findet sich dort mühelos: "Komm, trink diesen Aperitif mit mir / Auf den guten alten Fortschrittsglauben.

© SZ vom 02.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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