"Léon - Der Profi":Ein Glas Milch für den Killer

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Mathilda (Natalie Portman) lernt das Killerhandwerk. (Foto: Action Press)

Der Klassiker "Léon - Der Profi" erscheint zum 25. Jubiläum als "Director's Cut".

Von Philipp Stadelmaier

Léon, der Killer, sitzt in einem New Yorker Restaurant, ihm gegenüber sein Auftraggeber, der einen neuen Job für ihn hat. Doch eigentlich sitzen sich hier weniger zwei Männer gegenüber als zwei Details, die von der Kamera hervorgehoben werden. Da ist das dunkle, verspiegelte Sonnenbrillenglas im Gesicht des Auftragskillers, und da ist das Auge im Gesicht seines Gegenübers. Diese Konfrontation ließe sich auch auf zwei andere Elemente übertragen: auf das Glas Milch, das Léon bestellt hat, und auf die Zigarette in der Hand des Bosses.

Luc Bessons Klassiker "Léon - Der Profi" von 1994 zeichnet sich durch viele solcher verspielten Kleinigkeiten aus. In diesem September lief der Film anlässlich seines 25. Geburtstages erneut in den deutschen Kinos, nun erscheint er fürs Heimkino auf DVD und Blu-ray: als Director's Cut, zwanzig Minuten länger als die Originalfassung und digital restauriert. Gerade die visuelle Politur lässt umso deutlicher erkennen, dass jedes Bild hervorgehoben wird und dem Zuschauer ins Auge springen soll, dargeboten wird wie ein Schmuckstück in einer Vitrine.

Auch die Figuren sind hochgradig stilisiert. Die Garderobe des Killers ist sehr gewählt, betont seinen individuellen Stil: Sonnenbrille, Mantel, weißes T-Shirt, Strickkäppi. Ein erster Job präsentiert Léon als Akrobaten, der phantomartig aus dem Dunkel auftaucht und wieder in ihm verschwindet, während gestandene Mafiosi vor Todesangst wimmern, dahingerafft werden wie von einer höheren Macht.

Nicht weniger exzentrisch wirkt Léons Gegenspieler, ein von Gary Oldman verkörperter korrupter, drogenabhängiger Polizist. Der steht irgendwann vor Léons Nachbarwohnung. Der Nachbar hat für den Cop Drogen verkauft und dabei zu sehr in die eigene Tasche gewirtschaftet. Zwei gelb-grüne Pillen, die dieser grimassierend mit den Zähnen zerquetscht, genügen, um das Monster in ihm zu entfesseln: Er veranstaltet ein Massaker, bei dem Léons Nachbar und fast dessen gesamte Familie getötet werden.

Mathilda tanzt vor dem wortkargen Brummbären aufreizend angezogen zu "Like a Virgin" von Madonna

Die einzige Überlebende ist Mathilda, zwölf Jahre alt, gespielt von Natalie Portman, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten nicht wesentlich älter war als in ihrer Rolle. Léon nimmt sie bei sich auf. Auch er ist in gewisser Weise ein Kind. Bevor er seine Aufträge erledigt, stellt er eine Pflanze aufs Fensterbrett - "mein bester Freund", erklärt er Mathilda. Er trinkt nur Milch, lesen und schreiben kann er nicht. Das bringt ihm Mathilda bei. Im Gegenzug lehrt Léon sie das Töten, denn das Mädchen will nur eines: Rache für ihren kaltblütig ermordeten kleinen Bruder.

Die Figuren, will uns Besson sagen, sind unschuldig. Und weil sie unschuldig sind, können sie töten, wie sie wollen. In ihrem Bedürfnis nach Rache sind sie ganz und gar rein, weil der von Gary Oldman gespielte Cop das ganz und gar Böse ist. Oft töten sie auch nicht wirklich. Schon am Anfang verschont Léon einen anderen Gangster, dem er nur Angst einjagen soll; später schießen Mathilda und Léon zum Training mit Paintball-Munition auf einen Jogger im Park.

Ebenso, wie hier ironisch getötet wird, wird auch ironisch geliebt. Mathilda verlangt von Léon, dass er sie entjungfert. In dem Hotel, in das sie ziehen, erzählt sie dem Rezeptionisten, dass Leon nicht ihr Vater, sondern ihr Liebhaber sei. Mathilda tanzt vor dem wortkargen Brummbären aufreizend angezogen zu "Like a Virgin" von Madonna. Ein andermal spielt sie die eifersüchtige Frau, die sich von Léon nicht genug geliebt fühlt und sich beim russischen Roulette umzubringen droht, weil sie "alles" will, "Liebe oder Tod". Bessons sexualisierte Darstellung dieser Kindsfrau mag unter heutigem Blickwinkel fragwürdig erscheinen. Aber gleichzeitig, so scheint uns Besson zu sagen, während er uns heftig zuzwinkert, ist diese Liebe eben die Liebe zwischen zwei Kindern: etwas extrem, etwas pathetisch, nicht ganz ernst zu nehmen. Selbst ihre Quasi-Pädo-Geschichte lässt Léon und Mathilda unbefleckt zurück, wie Heilige. Oder wie Popikonen, die weniger Menschen aus Fleisch und Blut sind als Kunst- und Comicfiguren, zusammengesetzt aus modischen Stilelementen, wiedererkennbaren Ticks und dramatischen Dialogzeilen. Wenn es Filme gibt, die nicht altern, dann gehört dieser dazu. Denn er wirkt heute einfach kein bisschen erwachsener als vor 25 Jahren, was bedeutet, dass ihn ein Publikum, das ihn schon 1994 geliebt hat, noch immer ganz und gar intakt vorfinden wird - so jungfräulich wie damals.

Léon - Der Profi. Director's Cut ist auf DVD und Blu-ray erschienen (Studiocanal).

© SZ vom 04.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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