Leipziger Schule:Handwerk statt Propaganda

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Während im Westen die Abstraktion gefeiert wurde, konzentrierten sich die Künstler im Osten auf handwerkliches Können. Mithilfe der Historie kommentierten sie die Gegenwart.

Von Sandra Danicke

Wolfgang Mattheuer steht vor dem Spiegel, rechts von ihm die Staffelei. Gerahmt wird sein Abbild von den großzügigen Fenstern seines Ateliers. Hinter ihm, im Spiegel zu sehen, hängt ein Bild, das einen schattenhaften Menschen zeigt, der vor züngelnden Flammen aus dem geöffneten Fenster flieht. Mit seinen Reflexionen und Fragmentierungen ist das Gemälde "Drinnen, Draußen und Ich", das der Künstler 1986 schuf, nicht nur kompositorisch komplex. Es lässt vielfältige - auch staatskritische - Deutungen zu, ohne sie zwingend festzuschreiben.

Neun Jahre vorher porträtierte sich Mattheuers Kollege Werner Tübke in seinem "Selbstbildnis auf bulgarischer Ikone" als Heilsgestalt. In der Pose des Christus Pantokrator mit Segensgestus und Bibel gibt der Künstler den Weltenherrscher. In griechischer Schrift ist aus dem Johannesevangelium zitiert: "Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." Wie üblich ist Tübkes akribische Malweise an der Frühen Neuzeit orientiert. Auch dieses Bild lässt sich als kritischer Kommentar zum sozialistischen Kollektivgedanken interpretieren. Doch zwischen den zwei Selbstbildnissen klaffen Welten.

Dass sowohl Mattheuer als auch Tübke zur gleichen künstlerischen Gruppierung der Leipziger Schule gezählt werden, liegt nicht gerade auf der Hand. Der Dritte, der zu den maßgeblichen Protagonisten der Leipziger Schule zählt, ist Bernhard Heisig. Auch er stellte sich 1979 in seinem Atelier dar, doch die Art und Weise, wie er dies tat, könnte sich von denen der anderen beiden kaum stärker unterscheiden: Im Tohuwabohu zwischen einem Soldaten, einer Prostituierten und einem Liebespaar, zwischen architektonischen Elementen, Masken, Musikinstrumenten, Uhrenkasten und einem abstürzenden Kampfflieger sitzt der Künstler, den Kopf in die Hand gestützt. Über eine weitere Hand mit Pinsel am rechten Bildrand ist der Maler ein zweites Mal im Gemälde verewigt. Heisig zeigt sich so zugleich als Schöpfer eines heillos verworrenen Welttheaters und als derjenige, der mit den Geschehnissen aus Geschichte und Gegenwart irgendwie zurande kommen muss.

Was die drei Künstler verbindet? Stilistisch fast nichts: Denkt man bei Tübke an die altmeisterliche Malweise eines Lucas Cranach, so fällt einem bei Mattheuer am ehesten der nüchterne Stil der Neuen Sachlichkeit ein, während Heisig in der Tradition der Expressionisten steht. Gemeinsam ist den drei Malern zunächst einmal die Tatsache, dass sie alle zur etwa gleichen Zeit an der Leipziger Kunstakademie, der heutigen Hochschule für Grafik und Buchkunst, studiert und später auch gelehrt haben. Dass sie gegenständlich malten und sich - wenngleich auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität - mit ihrem Umfeld kritisch auseinandergesetzt haben. Nicht direkt, sondern auf metaphorische, bisweilen mehr oder weniger verschlüsselte Weise. "Die Sinnbildhaftigkeit der Motive ermöglichte eine Beschäftigung mit zuvor unerwünschten Themenfeldern und die kritische Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart. Die Kunst öffnete sich für sogenannte Problembilder", schreibt Valerie Hortolani im Katalog.

Im Rahmen der offiziellen DDR-Kunst war die Leipziger Schule sowohl akzeptiert als auch umstritten. Die Künstler hatten sich ein Terrain erobert, das ihnen Freiheiten garantierte, die nicht jedem Parteisoldaten recht sein konnten. Zugleich sorgten sie für Erfolge über die Landesgrenzen hinaus - und damit für Devisen. Die Betonung des Handwerklichen war in der Leipziger Szene ein essentieller Bestandteil der künstlerischen Arbeit. Während zu Beginn der Siebziger Jahre in Düsseldorf mit Joseph Beuys Ideen und Aktionen Vorrang vor der peniblen Ausführung hatten, schwelgte man in Leipzig in Lasuren und detailversessenen Lithografien.

Die Historie diente dazu, die Gegenwart zu kommentieren

Was im Westen oftmals als hoffnungsloser Anachronismus verachtet wurde und bis heute oft skeptisch betrachtet wird, war in Leipzig das Maß der Dinge. Mythos, Geschichte und - vor allem bei Tübke - christliche Ikonografie lebten auf. Man darf jedoch nicht vergessen, dass diese auf den ersten Blick altbacken wirkenden Werke eine platte sozialistische Propagandakunst an den Rand gedrängt haben. Und dass die Historie den Künstlern in der Regel dazu diente, die Gegenwart zu kommentieren. Figuren wie Sisyphos oder Ikarus wurden eingesetzt, um das SED-Regime kaum verhohlen zu kritisieren.

Zu einer jüngeren Generation von Künstlern, die sich aus der Leipziger Schule entwickelt haben, zählten Volker Stelzmann sowie Heisigs Student und späterer Nachfolger an der Hochschule, Arno Rink. Während Stelzmann Elemente der Pop Art mit einem an Otto Dix angelehnten Verismus und dem florentinischen Manierismus verknüpfte, stand der unlängst gestorbene Arno Rink für eine metaphorisch aufgeladene Aktualisierung der Neuen Sachlichkeit. In seinen hochartifiziellen Gemälden treten dem Betrachter fast lebensgroße Figurengruppen und surrealistisch-visionäre Szenen entgegen, die an bekannte Bild- und Archetypen erinnern. Auch er bemühte Bildthemen aus der antiken Mythologie oder der christlichen Ikonografie wie Leda, Salome, Lot oder Judith, gerne nackt und stets erotisch.

Was aber vielleicht noch wichtiger war: Als prägender Lehrer der jüngeren Generation Leipziger Maler versammelte Rink in seiner Malklasse die bekanntesten Vertreter der Neuen Leipziger Schule wie Neo Rauch, Michael Triegel, Christoph Ruckhäberle und Tim Eitel und trug somit das Vermächtnis der Leipziger Schule - über die bis Mitte der Neunziger Jahre kaum jemand mehr sprach - in die Gegenwart. Auch wenn er selbst dabei in Vergessenheit geriet.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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