Leïla Slimanis "Der Duft der Blumen bei Nacht":Dämliche Ehrfurcht

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Kunstmuseen sind für sie bis heute "ein Ausdruck westlicher Kultur, ein elitärer Raum, dessen Codes ich noch immer nicht erfasst habe": Schriftstellerin Leïla Slimani. (Foto: Arne Dedert/picture alliance/dpa)

Leïla Slimani hat sich eine Nacht im Museum einsperren lassen und notiert, was dabei in ihr vorging.

Von Joseph Hanimann

Eine Nacht allein im Museum zu verbringen, ist eines der zentralen Phantasmen unserer Zeit. Der Louvre bot vor zwei Jahren so ein Abenteuer über Airbnb an, es gibt Spielfilme und Romane über das Thema. Einschlafen unter dem Lächeln Mona Lisas, träumen zu Füßen der Venus von Milo und sich dabei vorstellen, die Werke sprächen da ganz persönlich zu einem selbst.

Der Pariser Stock-Verlag hat aus der Idee eine Buchreihe gemacht. Der algerische Schriftsteller Kamel Daoud zum Beispiel übernachtete dafür im Pariser Picasso-Museum und dachte dabei über Nacktheit in der abendländischen Bildtradition nach. Jetzt hat die marokkanisch-französische Romanautorin Leïla Slimani ihr Schlaflosigkeitsstenogramm aus der Punta della Dogana in Venedig vorgelegt.

Nicht die intime Begegnung mit den Kunstwerken habe sie beim Unternehmen gereizt, schreibt Slimani. Im Rabat ihrer Kindheit habe es keine Museen gegeben und Kunstmuseen seien für sie bis heute "ein Ausdruck westlicher Kultur, ein elitärer Raum, dessen Codes ich noch immer nicht erfasst habe".

Bei ihrem ersten Uffizien-Besuch in Florenz habe sie nur "mit einer etwas dämlichen Ehrfurcht" wie eine Erstkommunikantin vor den Bildern gestanden. Interessant erschien ihr an der Eskapade in Venedig hingegen das inszenierte Eingesperrtwerden, das Spiel mit dem alten Schriftstellertraum von Stille und Abgeschiedenheit, wie ihn all die scheuen Einzelgänger, Petrarca, Hölderlin, Emily Brontë, Flaubert, Rilke, Kafka, gehegt hätten.

Was taugt aber ein literarischer Text, der nicht aus einer inneren Notwendigkeit entstand, sondern aus einer Verlegeridee, die man nicht abzuwimmeln verstand? Mit solchen Fragen peinigt sich die Autorin lange auf ihrem Klappbett im Museum. Die Sardinen, Venusmuscheln und die Pasta vom Abend im Restaurant liegen noch schwer auf dem Magen. Schläfrigkeit stellt sich ein, doch heißt es: wach bleiben und schreiben. Dabei ist über Venedig, seine Schönheit, seine Touristen, seine erhabene Dekadenz längst alles gesagt. Und über die Kunstwerke um sie her hat die Autorin wenig Eigenes zu sagen.

(Foto: N/A)

Aus dieser Eingebungspanne hilft sich Leïla Slimani geschickt mit spontanen Skizzen der Selbstdarstellung heraus. Ihre Stärke lag schon immer mehr in der konkreten Personen- und Situationszeichnung als im breiten Ideen- und Handlungspanorama. Wenn ihr im Museum plötzlich das Bedürfnis zum Rauchen kommt, erinnert sie sich an all die Schnippchen, die sie in den Hotelzimmern rund um die Welt dem Rauchverbot schlug.

"Die Frauenfrage ist eine Frage des Raums"

Unter den Kunstwerken in der Punta della Dogana fühlt sie sich besonders von einer Installation ihres Landesgenossen Hicham Berrada angesprochen, der Setzlinge des nur nachts blühenden Nachtjasmins in große Terrarien gepflanzt hat, und kommt auf ihre Faszination für die Nacht zu sprechen. Dieser Nachtjasmin sei der Duft ihrer Lügen, ihrer Jugendlieben, ihrer gerauchten Zigaretten und verbotenen Feste, mit denen sie sich dem ihre Mädchenjahre bestimmenden Gebot entzogen habe, dass Frauen nachts außer Haus nichts zu suchen hätten.

"Die Frauenfrage ist eine Frage des Raums", eine Frage von Drinnen und Draußen, schreibt sie. Und wundert sich dabei, dass ihr als Feministin, Aktivistin und Schriftstellerin dieser Zusammenhang von Rückzug und Hinausgehen ausgerechnet hinter den verriegelten Türen dieses Museums klar werde. Der Text folgt der Ordnung loser Assoziationsschübe. Zahlreich sind die literarischen Zitate und Anspielungen, als sollte mit ihnen immer neu die Angst vor dem stockenden Eingebungsfluss verscheucht werden.

Eine Passage, die wohl interessanteste im Buch, hebt sich indessen weit über das flüchtige Kommen und Gehen der Gedanken hinaus. Die Autorin reflektiert dort das Verhältnis zu ihrem Vater. Als ehemaliger marokkanischer Bankdirektor war dieser 2003 wegen einem Politik- und Finanzskandal ins Gefängnis gekommen und brütete dann nach seiner Entlassung zu Hause, im großen "Haus seiner Agonie", auf dem immer selben Sofaplatz bis zu seinem Tod vor sich hin. Ein entmachteter Patriarch, ein abgeschlagener Löwe, schreibt die Autorin, der gegen die drängende Nachwelt zumindest diesen Posten noch zu behaupten sucht.

Am Ende der Nacht verlässt Slimani das Museum beinahe fluchtartig

Leïla Slimani zeichnet ein bewegend subtiles Bild dieser Vater-Tochter-Beziehung zwischen Fremdheit und Anhänglichkeit. Sie müsse ihrem Vater dankbar sein, dass er gestorben sei, gesteht sie sich ein, denn er sei ein Hindernis für ihre Berufung zum Schreiben gewesen. Ohne sein Abtreten wäre dieses nicht möglich gewesen. Mehr noch: "Indem er starb, zwang mein Vater mich, ihn zu rächen, er verbot mir jede Trägheit, jede Halbherzigkeit". Hätte sie zu wählen gehabt zwischen seinem Weiterleben und ihrem eigenen Schreiben, wäre sie nicht sicher, sich fürs Leben des Vaters entschieden zu haben. "Henry de Montherlant hatte recht: Schriftsteller sind Monster. Gottlose, unmoralische Vampire."

Am Morgen nach ihrer Museumsnacht verlässt Leïla Slimani dann beinah fluchtartig den Ort und kehrt an ihren Pariser Schreibtisch zurück, um dort die Arbeit an dem - damals - im Entstehen begriffenen Romanzyklus "Das Land der Anderen" wiederaufzunehmen. Der erste Teil dieser Familiensaga zwischen Marokko und Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg ist inzwischen auch auf Deutsch erschienen. Der zweite Teil kam gerade in Frankreich heraus. Diese Notizen aus der Punta della Dogana bieten dazu - sorgfältig übersetzt - so etwas wie einen subjektiven Werkstatt- und Pausenbericht.

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