Lebensberichte:Die Welt überzeugen, dass sie einen schreiben lässt

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Der unglaublich gelehrte Sprachwissenschaftler Ernst Kausen und der Schriftsteller Peter Kurzeck berichten über ihre Leidenschaften und Erkenntnisse, sie erzählen vom und reflektieren übers Sprechen und Schreiben.

Von Tobias Lehmkuhl

Das Burushaski ist nicht sonderlich verbreitet, im Gegenteil, es ist eine isolierte Sprache. Wie das Baskische ist sie mit keiner anderen Sprache der Welt verwandt. Gerade einmal hunderttausend Menschen sprechen sie, die Burushos im Karakorumgebirge im nördlichen Pakistan. Und wenn es heißt, die Burushos sprechen das Burushaski, dann ist damit gemeint: Wirklich nur die Burushos, denn ihre Sprache ist so komplex, dass man sie im Erwachsenenalter kaum mehr erlernen kann. Wobei: Möglicherweise gibt es doch noch jemanden außerhalb des Karakorumgebirges, der Burushaski spricht. Er heißt Ernst Kausen, hat Sprachwissenschaft, Altorientalistik und Ägyptologie studiert und ist zudem emeritierter Professor für Mathematik und Theoretische Informatik an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Man könnte diesen Tausendsassa für eine Märchengestalt vom nahen Sackpfeifenberg halten, aber es scheint ihn wirklich zu geben.

Seine Stimme zumindest lässt sich auf dem Hörbuch "Die Sprachen der Welt" vernehmen, eine helle, recht unauffällige, kaum dialektal geprägte Stimme. Man folgt ihr gerne, auch wenn die Vergleichende Sprachwissenschaft erst einmal etwas Buchhalterisches an sich hat: Wie viele Sprachen gibt es? Und wie viele Sprachfamilien? Wie viele Sprecher hat das Koreanische, wie viele das Telugu (immerhin 85 Millionen)?

Trotzdem hört man gebannt zu, erst recht, wenn Kausen auffächert, welche Sprachen in Amerika, Afrika und Eurasien gesprochen werden, was zum Koisan, zu den Papua-Sprachen oder zum Afroasiatischen gehört. Vielleicht ist es ein Faible für Listen, vielleicht aber ergreift einen auch stille Faszination angesichts der Vielfalt der Welt, vielleicht ist auch die einnehmend-uneitle Art des Professors dafür verantwortlich, dass die Stunden wie im Flug vergehen.

Tatsächlich wird Kausen nur an einer Stelle persönlich. Da verleiht er seiner Freude darüber Ausdruck, einmal die Möglichkeit gehabt zu haben, sich mit dem Burushaski etwas länger zu beschäftigen. Wie komplex diese Sprache tatsächlich ist, muss sich der Hörer von einer anderen isolierten, vergleichbar komplexen Sprache herleiten, für die Kausen eine staunenswerte Zahl nennt: Wenn etwa das deutsche Verb über maximal hundert Formen verfügt (ich gehe, er wird gehen, sie wurden gegangen, etc.), so verfügt das Baskische, indem hier zugleich immer auch das Objekt des Satzes und seine verschiedenen Fälle mit beschrieben werden, über bis zu 33 000 Verbformen.

Wer sich genauer informieren möchte, darf in diesem Fall guten Gewissens bei Wikipedia nachschlagen. Den fundierten Burushaski-Artikel dort hat Ernst Kausen selbst verfasst.

Ein Leben ohne Schrift, das hätte sich Peter Kurzeck nicht vorstellen können

Auf dem Hörbuch nun geht es darüber hinaus um die Frage, ob es eine allen Sprachen gemeinsame Ursprache gibt, was der Autor für naheliegend hält. Da aber heute noch 95 Prozent der weltweit etwa sechstausend Sprachen ohne eigene Schrift auskommen, ist die Sprachwissenschaft in diesem wie in vielen anderen Fällen mit einer recht dünnen Beweislage konfrontiert. Entsprechend häufig ist -unterhaltsamerweise - vom Streit zwischen verschiedenen Forschungsfraktionen die Rede.

Ein Leben ohne Schrift, das hätte sich Peter Kurzeck nicht vorstellen können. Wie der 2013 verstorbene Schriftsteller auf dem Hörbuch "Für immer" erzählt, war für ihn schon als Fünfjährigen klar, dass er - ohne das Wort damals zu kennen - Schriftsteller sein wollte. Es ist bereits das fünfte frei eingesprochene Kurzeck-Hörbuch. Offenbar also ging die Verehrung der Schrift nicht mit Geringschätzung des gesprochenen Wortes einher. Es gibt vielmehr guten Grund, die Hörbücher Peter Kurzecks seinen Romanen sogar noch vorzuziehen. Denn auch wenn man beim Lesen seiner Werke schnell den typischen Kurzeck-Sound im Ohr hat, wird wohl jeder, der die Stimme des Schriftstellers zum ersten Mal hört, ihr rettungslos anheimfallen: ihrer Wärme, der sympathischen Versponnenheit und gänzlichen Vorbehaltlosigkeit, die aus ihr spricht.

Auf der nun vorliegenden Aufnahme erzählt Kurzeck, dass er als Kind dachte, da er nur Bücher von toten Schriftstellern kannte, er sei der einzig Lebende: "Nur außer mir weiß es keiner, dass ich Schriftsteller bin, und das ist dann eben die Arbeit, die man hat, die Welt davon zu überzeugen, beziehungsweise irgendwie es hinzukriegen, dass sie einen schreiben lässt."

Aus einfachen Verhältnissen stammend war das freilich ein Problem. Nach der Schule absolvierte Kurzeck zunächst eine Ausbildung und wurde Personalleiter auf einem amerikanischen Truppenstützpunkt. Bis er eines morgens im Jahr 1971 aufwachte und wusste: Du darfst da nie mehr hingehen. Und das tat er dann auch nicht. Fortan widmete er sich ganz dem Schreiben (und bis 1979 dem Trinken), fand seinen Schreibort im südfranzösischen Uzès, und wenn seine Werke bis jetzt nicht ins Burushaski übersetzt sein sollten - dann, Herr Kausen, bitte übernehmen Sie!

Ernst Kausen erzählt. Die Sprachen der Welt. Supposé Verlag, Berlin 2016. 4 CDs, 270 Minuten, 34,80 Euro. Für immer.

Peter Kurzeck erzählt sein Schreiben. Supposé Verlag 2016. 1 CD, 71 Minutenn, 18 Euro.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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