Laudatio:Schatzsuchen im Schutt

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Sie wird morgen 90, Gudrun Pausewang , die mit ihren Büchern - am bekanntesten ist "Die Wolke" - das politische Bewusstsein veränderte.

Von Roswitha Budeus-Budde

"Selten war Jugendliteratur so wirkmächtig und nachhaltig wie in diesem Fall", lobt der Laudator Ralf Schweikart Gudrun Pausewang bei der Verleihung des Jugendliteraturpreises 2017 für ihr Lebenswerk. Die Rede war von ihrem wichtigsten und bekanntesten Werk "Die Wolke", das zur Bibel der Anti-Atom-Bewegung wurde. Es beschreibt einen Supergau, der mitten in Deutschland, in Grafenrheinfeld, geschieht und den Gudrun Pausewang aus der Sicht der vierzehnjährigen Janna-Berta und ihres kleinen Bruders Uli erzählt.

Diese Dystopie polarisierte die Öffentlichkeit. Die Atomlobby war alarmiert, besonders als bekannt wurde, dass der Titel 1988 für den Jugendliteraturpreis nominiert war. Rita Süssmuth, die damalige Familienministerin, verlieh ihn trotzdem, gegen den Widerstand der eigenen Partei. Ihre Begründung: "Politische Streitkultur ist ein wichtiger Bestandteil jedes demokratischen Systems."

Die "Streitkultur" hat Gudrun Pausewang in ihrem großen Œuvre mit über 100 Titeln immer wieder befeuert. Sie wurde mit ihrer engagierten Literatur zu Themen wie Umweltzerstörung, Flüchtlingsproblematik, der Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie und dem neuem Rechtsradikalismus zu einer Leitfigur der politischen Aufklärung und alternativer Bürgerbewegungen. Schon 1993 beschrieb sie fast visionär in "Der Schlund" die politischen Folgen einer riesigen Flüchtlingswelle, die Deutschland überrollt, und den rechten Parteien mit ihren populistischen Parolen immer mehr Zulauf bringt. Schleichend verändert sich das politische und gesellschaftliche Klima, führt zu Fremdenhass und Verfolgung. Am Schluss herrscht ein Diktator, der das Land mit einer Mauer abriegelt.

Erinnerungen an die Nazizeit, wie in "Der Schlund", finden sich in vielen ihrer Titel. Ihre Erfahrungen führten zu kompromissloser Radikalität, die ihr oft vorgeworfen wurde. Doch obwohl sie Literatur als politisches Kampfmittel benutzt, behält sie immer die Perspektive des jugendlichen oder kindlichen Blicks auf das Geschehen. Sie schonte sich selbst nicht in ihren Büchern. Und bekennt in "Ich war dabei. Geschichten gegen das Vergessen", dass sie selbst von der NS-Ideologie infiziert war. Spuren davon sind in ihren Rosinkawiese-Bänden zu finden, in denen sie von ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Von der Zeit, in der sie in Schlesien aufwuchs, bei Eltern, die der Wandervogel- und Lebensreformbewegung anhingen und bald begeisterte Nationalsozialisten wurden.

Gegen Ende des Krieges floh sie mit der Mutter und fünf Geschwistern nach Westdeutschland, und erfüllte sich nach dem Abitur und einer pädagogischen Ausbildung den Jugendtraum, in Südamerika als Lehrerin zu arbeiten. Obwohl sie schon früher kleine Geschichten verfasst hatte, brachte sie das soziale Elend, das sie hier erlebte, dazu, das Buch zu schreiben, mit dem sie in der Jugendliteratur zuerst bekannt wurde: "Die Not der Familie Caldera". Und sie blieb die politische Schriftstellerin, auch als sie nach der Trennung von ihrem Mann mit dem kleinen Sohn zurück nach Deutschland kam und bis 1989 an der Grundschule in Schlitz unterrichtete.

In den Schulferien unternahm Gudrun Pausewang oft Lesereisen, gern erzählt sie von den Begegnungen mit jungen Leuten. Wie sie einmal ins Grübeln kam, als sie von einem Jugendlichen gefragt wurde, was der Sinn des Lebens sei. Es kam ihr die Erinnerung an Don Quijote, den sie schon als Kind aus dem Bücherschrank ihrer Eltern kannte und liebte und an seine Worte im Musical "Der Mann von La Mancha". "Vielleicht ist es Wahnsinn, sich Träumen hinzugeben und Schätze zu suchen, wo nur Schutt ist. Vielleicht ist es auch Wahnsinn das Leben so zu sehen, wie es ist. Aber ganz gewiss ist es der allergrößte Wahnsinn, das Leben so zu sehen, wie es ist, und nicht, wie es sein sollte."

Am Samstag wird Gudrun Pausewang, die inzwischen in der Nähe der Familie ihres Sohnes in Bamberg lebt, 90 Jahre alt.

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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