Laszlo Glozer:Der ewig Unverbrauchte

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Der Kritiker und Kurator wird achtzig. Sein Beispiel lehrt, dass man über moderne Kunst nur schreiben kann, wenn man die alte kennt.

Von Willibald Sauerländer

Laszlo Glozer gehört zu den ungarischen Intellektuellen und Studenten, die nach dem Scheitern des Aufstands von 1956 in den Westen flüchteten. Der Zwanzigjährige wurde zum Studenten der Kunstgeschichte in Freiburg und von deren sensibler Phänomenologie sympathetisch angezogen. In Freiburg, obwohl noch kaum der deutschen Sprache mächtig, wurde er zu einer besonderen Figur, der sich die Türen der Professorenhäuser öffneten. Als der greise Walter Friedlaender aus New York zu einem letzten Besuch an seine frühere Wirkungsstätte kam, war es der ungarische Student, der mit ihm am intensivsten diskutierte. Er schrieb einen Artikel über Wols. In der Wohnung von Mutter und Schwester des Malers sah er an den Wänden Fotografien. Vermittelt durch diese Fotografien bekam er so Material in die Hand, um den subtilen Maler aus jener Mystifizierung zu lösen, mit der ihn die Nachkriegszeit sakralisiert hatte.

Im Jahr 1968 ging er nach München. Er kam in ein Milieu, das sich museal mit der klassischen Moderne zur Ruhe gesetzt hatte. Es reichte gerade bis zu Henry Moore, Marino Marini und dem Ankauf eines Picasso. Gleichzeitig war die aktuelle Kunst allerorten im Umbruch. In München kam es zu einem schildbürgerhaften Streit wegen der Erwerbung von Joseph Beuys' Installation "Zeige deine Wunde". In diesem Augenblick wurde Glozer zu einer Schlüsselfigur in der Kunststadt München. Er half, die Stimmen zu sammeln und die Vorträge zu planen, die sich für den Kauf der Installation einsetzten. Er wollte die Verletzlichkeit von "Zeige deine Wunde" vor der Banausie schützen. Mit demselben Engagement bemüht er sich, die Erdskulptur von Walter De Maria auf dem Olympiaberg für München zu gewinnen. Hier scheiterte er am örtlichen Unverständnis. Nie ging es bei Glozer um die Moderne an sich, sondern immer um einzelne Kunstwerke oder besondere Künstler. Ich kann nicht vergessen, wie er mich 1971 nach meinem arg professoralen Vortrag über Pop-Art in seine Wohnung einlud, um mir die Augen zu öffnen für die Sensibilität der Zeichnungen Claes Oldenburgs. Glückliche Zeiten, in denen ein Kritiker und ein Institutsdirektor noch so miteinander sprachen.

Mit dem Märchenton der deutschen Sprache den Bildern auf die Spur kommen

In den Siebzigerjahren wurde Glozer zum Kunstkritiker, schrieb für die Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen und der Süddeutschen Zeitung. Die Themen seiner Beiträge reichten weit in die alte Kunstgeschichte zurück: zu Dürer und Cranach, zu Caravaggio und Rembrandt. Diese kunstgeschichtlichen Aufsätze waren ihm wichtig. Vor allem aber verfasste er Artikel zu den aktuellen Meistern und Malern: zu Beuys und Warhol, zu Rothko und Barnett Newman, zu Hamilton und Twombly. Sein Beispiel könnte heute lehren, dass man über die moderne Kunst nur schreiben kann, wenn man die alte kennt. Oft bewunderte man ihn dafür, wie der Ungar die deutsche Feder führte. Das ist richtig, aber nicht zureichend. Er ließ sich von der Musikalität, dem Märchenton der deutschen Sprache anrühren und entwickelte aus ihr ein subtiles Instrument für die Beschreibung von Kunst. Eine so musische Kunstkritik hat man in einem Feuilleton selten lesen können.

Im Jahr 1981 konzipierte er mit Kasper König und Karl Ruhrberg in Köln die grandiose Ausstellung "Westkunst". Es wäre ein triviales Missverständnis, wenn man hier von einer Retrospektive der westlichen Kunst von 1939 bis 1969 spräche. Glozer ging es darum, in der Zeit der immer schnelleren Stilwechsel auf das Unverbrauchte markanter Positionen der frühen Avantgarde hinzuweisen.

Von der Westkunst und aus dem Feuilleton ging Glozer schließlich in die akademische Lehre. Er nahm eine Professur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg an. "Unverbraucht", das ist vielleicht ein Schlüsselwort für das Wirken dieses ungarischen Migranten, dem die Kunstszene in Deutschland, vor allem in der alten Bundesrepublik, so viel produktive Anregung verdankt. Heute feiert Laszlo Glozer, wie man vermuten darf, in seiner ungarischen Heimat seinen achtzigsten Geburtstag.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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