Landschaften:Welch ein Mist

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Misthaufen wie dieses stattliche Exemplar aus dem frühen 20. Jahrhundert im Starkerer-Hof nahe Altötting waren dampfende Prestigeobjekte. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Wann wurden aus Kulturlandschaften Geschäftsfelder? Und wie erkennt man den Unterschied? Wer heute über Land fährt, sieht das auf einen Blick. Es gibt keine Misthaufen mehr.

Von Rudolf Neumaier

Nach alten Maßstäben schneiden die meisten Bauern heute erbärmlich ab. Wer früher über einen großen Misthaufen verfügte, der hatte ein hohes Ansehen im Dorf. Über Jahrhunderte hinweg hatte sich der Misthaufen zum Statussymbol entwickelt. Wo sich junge Landmänner heute mit Sportwagen und schweren Uhren auf Freiersfüße begeben, zeigten sie ihren Kandidatinnen früher den Bauernhof. Und der Misthaufen war die Visitenkarte. Wer wenig Mist vor dem Haus hatte, konnte auch nicht viele Tiere im Stall haben. Am Misthaufen erkenne man den Bauern, "die innere Kraft seiner ganzen Wirtschaft zeigt sich in ihm", schrieb der Münchner Agrarwissenschaftler Carl Fraas 1865 in einem "Beitrag zur Lehre vom Völkeruntergang durch Bodenerschöpfung". Aber heute haben die meisten Landwirte überhaupt keinen Misthaufen mehr. In Bayern ist es leichter einen Bauernhof mit Swimmingpool zu finden.

Die Teppiche aus Getreide sehen so gebürstet aus wie Playmobil-Landschaften

Das Auffällige ist: Den Bauern, vor allem den Viehhaltern, geht es tatsächlich miserabel. Sie haben gigantische Ställe, gigantische Großvieheinheiten, gigantische Maschinen, gigantischen Subventionsbedarf. Heraus kommt zu viel Milch, zu viel Gülle. Für trockenen Mist müsste man Kuhfladen von der Jauche trennen, dafür sind moderne Ställe nicht mehr ausgelegt.

Ein Ausflug über Landstraßen in die Provinz ist heute eine Reise durch Wände von Mais, die unterbrochen werden von monochromen Teppichen. Diese Teppiche bestehen aus Getreide und sehen so gebürstet aus wie Playmobil-Landschaften. Die Felder wirken wie geklont. Kommt man dann in die Dörfer zu den Bauernhöfen, gibt es nicht viel, was noch an Ausflüge vor zwanzig Jahren erinnert. Landwirtschaft ist ein steriles Geschäft geworden. Die Grünflächen vor manchem Bauernhof, wo hinterm Stall ein riesiger Mähdrescher steht, sind mit dem Rasenmäher gepflegt, wo die Großväter und Väter das Gras mit der Sense mähten, denn jede Heugabel voll war wertvolles Futter im Stall. Allenfalls haben Komposthaufen für Rasenschnitt und Küchenabfälle überdauert, die früher an die Sau verfüttert wurden.

Der Misthaufen als Motiv war unter Kitschmalern einst so beliebt, dass es Lovis Corinth in einem Manifest niederbügelte: "Ein krähender Hahn auf dem Misthaufen", schrieb er, sei "noch lange keine deutsche Malerei". Wobei Gabriele Münter 1908 in Murnau einen besonders schönen erwischte. Nach Misthaufen würden Maler heute lange suchen. Anruf in einem agrarisch geprägten Landkreis wie Rottal-Inn. Hermann Wieslhuber ist Fachberater beim Bauernverband, Geschäftsstelle Eggenfelden. Können Sie einen Bauernhof mit Misthaufen nennen? Hm, Misthaufen, Herr Wieslhuber überlegt lange. Früher habe ja jeder tierhaltende Betrieb einen Misthaufen vorm Stall gehabt. "Aber heute - tut mir leid - bei uns gibt es so etwas nicht mehr. Das machen höchstens noch Liebhaber oder Hobbybauern. Oder Auslaufbetriebe." Es werde auch keine Renaissance des Misthaufens mehr geben, sagt der Experte, diese Zeit sei vorbei.

Es existieren allerdings ein paar Prachtmisthaufen, die man sich ergoogeln kann. Denn jeder halbwegs anspruchsvolle Biobauer präsentiert sich und seine Überzeugung auf der eigenen Homepage. Solche Biobauern haben Mist wie Heu. Der Biolandhof Braun in Dürneck bei Freising etwa präsentiert seine "Philosophie" vom "organisch-biologischen Landbau", in dem der Mist eine wichtige Rolle spielt. Der Urthalerhof im Landkreis Weilheim-Schongau bietet seinen Rinder- und Pferdemist sogar feil, selbstverständlich Bio, 11,45 Euro pro 26-Liter-Eimer für Selbstabholer, für die Lieferung 2,50 Euro mehr. "Bei Abnahme von zehn Eimern bekommen Sie zwei Eimer gratis." Münchner Kleinstgärtner und Balkonblumenfloristen fahren hinaus nach Sindelsdorf zum Mistholen. Aber den normalen Misthaufen, der nicht gleich als Luxus- und Weltrettungsdünger verkauft wird, wo gibt es den?

Man muss einen kennen, der einen kennt, der einen kennen könnte, der einen Misthaufen hat. Tief im Südosten Oberbayerns, nahe der österreichischen Grenze, in einem 300-Einwohner-Dorf mit dem gemütlich klingenden Namen Lampoding steht am Ortsrand der Misthaufen der Familie Kleinwötzl, Michael, Kathrin, drei Söhne. Sie zählen zweifellos zu den Bauern, die der Agrarfachberater Wieslhuber als Liebhaber bezeichnen würde: acht Rinder, zwei Schweine, drei Schafe, Hühner. Michael Kleinwötzl arbeitet im Hauptberuf bei einem Hochfrequenztechnik-Hersteller. Die Landwirtschaft, die er vor 15 Jahren von seinen Eltern übernahm, würde er aber niemals aufgeben. Er ist 43 und sieht viel jünger aus. Trüge er etwas Sportiveres als seine Latzhose, gäbe er das perfekte Mehmet-Scholl-Double ab.

Die Wiese ist ausschließlich dunkelgrün, denn Blumen sind unwirtschaftlich

Konventionell ist es nicht, was er mit seiner Frau betreibt. Wobei das Begriffspaar "konventionelle Landwirtschaft" genau zu betrachten ist: Das Adjektiv "konventionell" bedeutet so viel wie "gängig" und "üblich", heißt laut Duden aber auch "herkömmlich, hergebracht". Dass der Misthaufen der Kleinwötzls vor fünfzig Jahren noch Prestige verkörperte, vor zwanzig Jahren noch konventionell war und heute absolut unkonventionell ist, sagt einiges über die Landwirtschaft aus.

Konventionell ist jetzt zum Beispiel die Nachbarwiese bewirtschaftet, gleich vorm Küchenfenster der Kleinwötzls. Seit fünf Jahren ist sie verpachtet. Weil der konventionelle Traktor des Pächters dann doch sieben, acht Tonnen schwerer ist als der des unkonventionellen Herrn Kleinwötzl, hat sich die Bodenstruktur seither gehörig verändert: Die Wiese, die ein leichtes Gefälle hatte, sei flacher geworden, sagt Kathrin Kleinwötzl. Der Untergrund ist verdichtet. Man könnte auch sagen: erdrückt. Die Wiese ist ausschließlich dunkelgrün. Keine einzige Blüte. Käme ein Blümchen auf, dann hätte das Pflanzenspritzmittel versagt. Blumen sind so unwirtschaftlich wie Unkraut und ein Misthaufen. Diese Wiese wird sieben Mal im Jahr gemäht. Sieben Mal! Nach jeder Mahd schüttet der Bauer Gülle drauf, dann folgen Herbizide und Kunstdünger.

Der unkonventionelle Herr Kleinwötzl mäht drei Mal, weil die Natur nun mal nicht mehr hergibt und Liebhaberlandwirte wie er Kunstdünger ablehnen. Er hat ja seinen herkömmlichen, unkonventionellen Mist. Früher bekämpften abergläubische Menschen sogar Krankheiten damit. Mundfäule etwa. Man nehme "drey Strohhalme von dem nächsten besten Misthaufen", spreche ein Gebet und ziehe "die Halme kreuzweis dreymal durch den kranken Mund". Ob Mist wirklich heilte, ist fraglich. Aber dass es sich bei Kunstdünger um Bodendoping handelt, lässt sich kaum bestreiten. Im Sport ist Doping verboten, in der Landwirtschaft, die Lebensmittel herstellt, ist es Standard.

Der deutsche Bauernverband zeichnet ein malerisches Selbstbild: Die Landwirte stärkten "die ländlichen Regionen" als "Kultur- und Erholungsraum" und "erhalten die einzigartigen Kulturlandschaften". Spätestens beim Vergleich des Weizenfeldes vom Misthaufenbauern Kleinwötzl mit denen seiner konventionellen Kollegen wirkt diese Beschreibung absurd: Diese monochromen, wie zu sozialistischer Einheitsästhetik getrimmten Geschäfts-Felder des übersteuerten Agrarkapitalismus sollen Kultur darstellen? Aber was ist dann das im satten Blau der Kornblumen glänzende Kleinwötzl-Feld, vor dem Fahrradtouristen absitzen und Fotoapparate zücken? Nur eine Reminiszenz wie der Misthaufen selbst und der kleine Miststreuer-Oldtimer in der Scheune? Maschinen wie diese werden heute nicht mehr hergestellt, es gibt sie günstig bei Ebay.

Vor dem Winter wird Michael Kleinwötzl noch einmal Mist ausbringen, damit die Käfer und Würmer und Fliegen gleich Arbeit haben, wenn der Schnee taut. Seine kleine Großvieheinheit im Stall produziert genug Mist, damit die große Kleinvieheinheit ausgelastet ist und die Wiesen lebendig bleiben und bunt.

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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