Kurzkritik:Zeit der Geister

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Toshiki Okada mit seiner Gruppe Cheltfitsch an den Kammerspielen

Von Egbert Tholl, München

Für Toshiki Okada sind Gespenster etwas sehr normales. Sie sind einfach da. Das ist einerseits eine gewisse Tradition im Nô-Theater, einer der künstlerischen Inspirationsquellen Okadas. Andererseits sind die Geister der Toten für ihn Mahner und Ausweg, schlechtes Gewissen und Menetekel. Die untoten Toten zeigen, was besser sein könnte im Staat und in der Gesellschaft, was schief gelaufen ist und besser sein müsste. In "Time's Journey Through a Room" erinnern sie an die Atomkatastrophe von Fukushima.

Okada ist mit seiner Gruppe Cheltfitsch zu Gast in der Spielhalle der Kammerspiele, als Vorgriff auf "Hot Pepper, Air Conditioner and the Farewell Speech", eine Arbeit, die er mit dem Ensemble der Kammerspiele erarbeitet und die Ende Juni Premiere haben wird.

Hier blickt man nun erst einmal auf eine sehr aufgeräumte Bühnenfläche, auf der wenige, durchaus wundersame Dinge versammelt sind: ein Topf, dessen Deckel sich dreht wie ein Plattenspieler, ein Propeller, der sich ebenfalls dreht, ein pulsierende Glühbirne über einem Eimer. Wind bewegt im Hintergrund die Gardine, hinter der man sich einen Balkon vorstellen muss, den Balkon, auf den sich die Ehefrau zurückzog, wollte sie allein sein. Vier Tage war sie glücklich. In den vier Tagen nach Fukushima, als die Gesellschaft Japans aufbrach und eine Hoffnung keimte auf Neuanfänge jeglicher Art. Nach vier Tagen war sie tot, die Frau und die Hoffnung, doch die Frau blieb, in der Erinnerung, im Kopf und im Inneren des Mannes. Deshalb ist sie auch einfach da, nicht gespenstisch, ganz normal, liebevoll, ein bisschen scheu.

Da ist eine zweite Frau, die den Mann kennenlernen will, so wie er sie, wieder Beginn, vielleicht. Alle drei begegnen sich, in gleichsam schwebender Ruhe, in einer weichen Traurigkeit. Die Tote hat es besser. Vier Tage Euphorie, und sie muss nicht mehr miterleben, was alles nicht besser wurde. Wobei, sie sieht es ja. Ist ja da, bewegt sich als die Zeit durch einen dunkel schillernden Abend.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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