Kurzkritik:Wogende Wildnis

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Julia Holter brilliert in den Kammerspielen

Von Martin Pfnür, München

Ist das eine subtile Form von Ironie, wenn Julia Holter ihr Konzert in der Kammer 2 der Münchner Kammerspiele mit dem druckvollen "Horns Surrounding Me" beginnt und dabei inmitten einer versierten Band steht, die sie an der Violine, am E-Kontrabass und am Schlagzeug begleitet? Nicht wirklich. Dafür fehlt ihrer Musik der ironische Habitus, dafür nimmt sie ihr Schaffen dann doch zu ernst. Nonchalante Schäkereien mit dem Publikum spart sie sich lieber für die Momente zwischen den Songs auf.

Schon eher steht dieser Einstieg und der Verzicht auf die Trompeten-Fanfaren der Studioversion für ihre Wandlungsfähigkeit; für die schiere Bandbreite an Möglichkeiten, die sich die 30-Jährige aus Los Angeles am California Institute of the Arts erschloss, um diese dann in drei ebenso elektronisch wie avantgardistisch geprägte Konzeptalben zu gießen, die um griechische Mythen ("Tragedy"), um Gedichte und Geschichten von Virginia Woolf und Frank O'Hara ("Ekstasis"), und um eine Musicalverfilmung von Colettes Kurzroman "Gigi" ("Loud City Song") kreisen.

Mit "Have You in My Wilderness" hat sich Holter nun sowohl vom konzeptuellen Überbau als auch von der Elektronik verabschiedet. Violinen, Klarinetten, Saxofon, Kontrabass und Cembalo fügen sich auf eine Weise zusammen, die man als gleichsam leichtfüßig und gravitätisch, eingängig und komplex, träumerisch und konzentriert, barock und modern bezeichnen kann. In der Kammer 2 entfalten die Stücke einen Sog, der sich besonders schön anhand des fulminanten "Silhouette" erklären lässt: Verspielt und jazzig kreiseln Bass und Schlagzeug da anfangs umeinander, Holter lässt mit kristallklarer Stimme ein paar helle Vokale in den Raum schweben, und steuert das zart wogende Gewebe dann sachte per Keyboard und Stimme Richtung Song, bis Bass und Violine plötzlich etwas Großes anbahnen und die Intensität mit jedem Takt ein wenig mehr heraufschrauben. Es ist ein Finale, das in seiner umwerfenden Grandezza wie eine verbotene Substanz wirkt. Eine Substanz, die das überrumpelte Publikum erst nach einer kurzen Pause der Betäubung wie entfesselt losklatschen lässt. Wahnsinn, diese Wildnis.

© SZ vom 30.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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