Kurzkritik:Wie frisch verliebt

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Die Philharmoniker und Rudolf Buchbinder im Gasteig

Von Michael Stallknecht, München

Peter Tschaikowskys Erstes Klavierkonzert gehört zu den Schlachtrössern des Konzertbetriebs. Was in der Praxis nicht selten bedeutet, dass hier zwei gegeneinander in die Schlacht ziehen: ein Dirigent, der den komplexen Orchesterapparat koordinieren muss, und ein Pianist, dem ein horrend schwieriger Klavierpart obliegt. Nicht so bei Valery Gergiev und Rudolf Buchbinder, die sich in der Philharmonie die Bälle zuwarfen, als hätten sie sich gerade frisch in das altbekannte Stück verliebt. Gergiev schuf Platz für Buchbinder, und der füllte ihn nicht mit selbstbezogenem Virtuosenspiel, sondern mit herrlichen Dialogen zwischen dem Klavier und den einzelnen Solisten und Gruppen der Münchner Philharmoniker. Markant und durchaus kraftvoll bei Bedarf, entlockte er den Klangkaskaden doch vor allem das spielerische Moment, auch viel blitzend Humoristisches.

Möglich macht diese Frische - das alte Paradox des Musizierens - natürlich auch die langjährige Erfahrung, die beide Partner mit dem Stück haben. Bei Gergiev spürte man sie vor allem in der Dispositionskraft, mit der er gerade den formal schwierigen ersten Satz zusammenhielt, flexibel in der Tempogebung, aber immer das Ganze im Auge behaltend. Der zweite Satz atmete die delikate Eleganz von Tschaikowskys Balletten, und der dritte vollendete unter Verzicht auf alles Auftrumpfende die ingeniöse Leichtigkeit.

Ein Ansatz, den sich Valery Gergiev danach bei Dmitrij Schostakowitschs Fünfter Symphonie bewahrte, die er ohne Dirigentenpodium quasi aus der ersten Reihe der Münchner Philharmoniker leitete. Aus der Vertrautheit des Zusammenspiels zwischen Chefdirigent und Orchester entstand auch hier eine ebenso straffe wie spielerische Deutung, zumal Gergiev die krachende Apotheose des Schlusssatzes mit klassizistischem Understatement unterlief. Stattdessen rückten die poetischen Elemente in den Vordergrund, in der Humoreske des zweiten, der Zartheit des dritten Satzes, in dem Gergiev die Langsamkeit nicht überdehnte. Tschaikowsky und Schostakowitsch, keine Frage, gehören zu Gergievs "Hauskomponisten". So umgesetzt, mag man sie tatsächlich immer wieder hören.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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