Kurzkritik:Wenig sagt viel, viel sagt nichts

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Tanz am Wochenende: Neues von Richard Siegal und Stefan Dreher

Von Rita Argauer und Eva-Elisabeth Fischer, München

Es überrascht, wie unspektakulär die erste öffentliche Aufführung von Richard Siegals jüngst gegründetem "Ballet Of Difference" als freie Kompanie mit Standort München über die Bühne geht. Innerhalb des groß angelegten Medienkunst-Festivals "Noise Signal Silence" im Muffatwerk - der Titel ist eine Siegalsche Wortkreation - ist von dessen Schaffen nur ein kleiner Teil zu sehen. Da wird nicht großgestisch der Vorhang für eine Tanzeinlage hochgezogen. Vielmehr sind die unangekündigten "Soli For Corey" mehr oder weniger versteckt. Bewegungsmuster, kleine Choreografien und Minimalaussagen hat Richard Siegal für den Tänzer Corey Scott-Gilbert geschaffen und wie zufällig in den Studios über der Muffathalle parallel zur Video-Installation "Daydream" des Nonotak Studios platziert.

In nahbarer Probenatmosphäre fegt Scott-Gilbert dort vor den Videoleinwänden hin und her. Er ist nur schwach von den Projektionen beleuchtet, seinen Atem hört man mehr als tonangebenden Rhythmus als die Ambient-Soundcollage als Klangfolie zur Projektion. Eingestreut werden einzelne Wörter, Scott-Gilbert trifft kurze Aussagen, mündlich genauso wie körperlich, wenn er sich in klassische Extreme streckt, eine Sprungkombination aus der Diagonalen absolviert, voll berstender Energie und umwerfend präsenter Physis, oder einen gezierten Schritt setzt, durchaus weiblich, aber nie tuntig. Schließlich flattern seine Arme, hektisch, unmenschlich, so, als würde ein Stroboskop seinen Körper in einen Roboter verwandeln - eine geglückte Anbindung ans Popmilieu, die den Weg zurück auf die Technoparty verkürzt.

So schmiegt sich Richard Siegal in die Pop- und Subkultur der Stadt ein. Er präsentiert sein "Ballet Of Difference" wieder einmal als Alternative zur hochkulturellen Ausrichtung, die Tanz auf diesem technischen Niveau sonst eigentlich hat. Dass die akademische Technik bei Richard Siegals Choreografien dennoch eine derart wichtige Rolle spielt, ist bemerkenswert. Denn damit verschafft er dem Publikum, das sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag immer wieder von den brüllend lauten Minimal-Sets der DJs in die darüberliegenden Tanzstudios spülen lässt, ein exzellentes, ganz und gar unmanieriertes Exempel, wie Ballett in diesen Tagen auch aussehen kann.

Stefan Dreher gibt den spillerigen Spielemacher in seinem Tanzstück "If I Was A Dancer", benannt nach einem Rolling Stones-Titel. Der Tänzer und Choreograf kreiselt ganz in Schwarz durch das HochX in der Au - aber nicht zu diesem Song, sondern zu "Sympathy For The Devil", das Wagner Schwarz live singt. Als der singende Choreograf und Tänzer 1972 in Brasilien geboren wurde, war der Stones-Hit bereits vier Jahr alt, bezieht sich also weder auf sein Leben noch auf den Titel dieser zusammenhanglosen fünf Soli, die drei Frauen und zwei Männer aus vier Generationen aneinanderreihen. Hajo von Hadeln und Christoph Reiserer schaffen wenigstens einen musikalischen Zusammenhalt mittels ingeniöser elektronischer Percussion-Sets. Denn es will über den Tanz nicht einmal ein unsichtbares Band entstehen, das die Nummern zusammenhielte. Den ältesten Tänzern, Gerda Daum und Frank Frey, genügen wenige Gesten als Zeichen einer bewundernswürdigen Bewegungskultur. Die ignorieren die Jüngeren mit ihren Belanglosigkeiten, als seien diese nie gewesen.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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