Kurzkritik:Vor dem Krieg

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Das Münchener Kammerorchester in Schloss Herrenchiemsee

Von Barbara Doll, Herrenchiemsee

Wer in München in letzter Minute zum Konzertsaal eilt, kommt ziemlich sicher noch rein - wer dagegen bei den Herrenchiemsee-Festspielen spät dran ist, kann Pech haben. Dank Last-Minute-Schiff und -Shuttlebus landen die letzten Gäste aber rechtzeitig im gut aufgeheizten Spiegelsaal von Schloss Herrenchiemsee.

Unter der Überschrift "1939" hat das Münchener Kammerorchester vier Stücke zusammengefasst, von denen drei im Jahr des Kriegsausbruchs komponiert wurden. Seine zweite Kammersymphonie - begonnen 1906 - vollendete Arnold Schönberg erst 1939 im Exil. Den verklärten, sehnsuchtsvollen Tonfall des Adagios steigert Dirigent Clemens Schuldt im zweiten Satz zu einer Suche nach der harmonischen und melodischen Welt der Vergangenheit. Wo die Motive noch so verloren durchs Orchester geistern, versucht die Musik stets, das Disparate zu verbinden - bis sie in Grübelei versinkt und in einen gewaltigen, romantischen Schlussakkord mündet.

Höchst unterschiedlich klingen Trauer und Verzweiflung in Karl Amadeus Hartmanns "Concerto funèbre" von 1939. Die südkoreanische Geigerin Fabiola Kim gestaltet ihren Solopart weniger als Klage denn als Rezitation. Im Allegro lässt sie sich mitreißen vom Orchester, das Hartmanns entfesselte Gefühlsemphase kämpferisch auslotet. Tonfall und Farben trifft Kim brillant, dennoch bleibt der Gesamteindruck blass. Scheinbar unberührt vom Weltgeschehen des Jahres 1939 blieb Lennox Berkeleys neoklassizistische Streicher-Serenade. Leichtfüßig spürt das Orchester den raffinierten und wohl auch eskapistischen Verästelungen der Stimmen nach. Die Zahl 39 ist es, die das letzte Stück ins Programm einfügen soll - Mozarts Symphonie Nr. 39 aus dessen persönlichem Krisenjahr 1788. Clemens Schuldt und das Münchener Kammerorchester machen daraus einen Rausschmeißer, der die melancholischen Eintrübungen nicht unterschlägt, aber beinahe die akustischen Grenzen des Spiegelsaals sprengt.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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