Kurzkritik:Viel zu brav

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Rimini Protokoll mit Hitlers "Mein Kampf" in der Kammer 1

Von Christiane Lutz, München

Natürlich ist es auch Provokation, den Abend "Mein Kampf, Band 1&2" zu nennen, da doch jeder ahnt, dass es sich nicht ernsthaft um die Anstrengung handeln könne, Hitlers Werk in einer Bühnenfassung aufzuführen. Es ist vielmehr eine Auseinandersetzung mit "Mein Kampf", besser gesagt damit, was man um Himmelswillen heute damit anfangen kann, soll, müsste. Zwei Juristinnen, ein israelischer Anwalt, ein türkischer Hip-Hopper, Ein Buchrestaurator und ein Blinder - bei Rimini Protokoll "Experten des Alltags" genannt - berichten, in einem wunderbar gemachten Bücherregal herumsteigend, von ihrem eigenen Bezug zum Werk. In zwei Stunden arbeiten sie sich durch eine Art "Mein Kampf"-Abc, haken Punkte ab wie Inhalt und Auflagezahlen, erzählen von Debatten in Israel darüber, ob das Buch auf Hebräisch erscheinen solle. Wie so häufig bei Arbeiten von Rimini Protokoll, liegt der bemerkenswerteste Teil in der Recherche, die die Regisseure Helgard Haug und Daniel Wetzel vorher betrieben haben.

Der aktuellsten Frage allerdings schenkt der Abend nicht genug Raum. Der nämlich, was passiert, wenn die Urheberrechte für "Mein Kampf" im Jahr 2016 auslaufen und das Buch auch in Deutschland frei zum Verkauf angeboten werden kann. Vielleicht erscheint den Protagonisten die Debatte darüber obsolet angesichts der Tatsache, dass das Buch längst in allen erdenklichen Darreichungsformen überall auf der Welt erhältlich ist. Als türkisches "Mein Kampf"-Manga, im japanischen "Hitler-Kit", als PDF oder live auf der Bühne ausgedruckt. Einen Moment wundern sie sich zwar, ob nicht auch ein Bühnenstück über "Mein Kampf", ähnlich einer Veröffentlichung, dem Werk nicht erst recht "eine Bühne" gebe und somit ethisch falsch oder gar verboten sei, gehen der Frage aber nicht konsequent nach.

Natürlich ist ein furchtloser, vielleicht sogar satirischer Umgang mit "Mein Kampf" der einzig richtige. Die Inszenierung aber bleibt da viel zu brav. Sie begnügt sich mit dem Staunen über skurrile Ausgaben, dem verschämten Umherreichen einzelner Exemplare und dem Geständnis, dass man sich damit als Deutscher nie in ein Café setzen würde. Da wäre mehr gegangen.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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