Kurzkritik:Vertrumpt

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Uri Caine und sein Trio in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski, München

"Was machen wir, wenn er gewinnt?", fragt eine Zuhörerin in der Pause Uri Caine, der nach einer Stunde konzentrierter Klangkommunikation zur Entspannung am Kassentresen lehnt und mit ein paar Freunden plaudert. "Ich weiß es nicht, aber es ist erschreckend", erwidert der New Yorker Pianist, der seine Band zuvor bereits als "Anti-Trump-Trio" bezeichnet und dafür kräftigen Applaus geerntet hatte. Auch wenn Politik mit Jazz sonst wenig zu tun hat, bleibt der populistische Trump ein Thema, das den Abend beeinflusst, etwa wenn Caine dem Republikaner den Song "Golem" widmet und daraufhin mit pianistischer Wucht Form und Struktur der Musik zerschlägt.

Es ist Wut im Raum, gepaart mit Humor und stellenweise Resignation, die Intellektuelle umwölkt, die seit Jahrzehnten die zunehmende mentale Verpuppung der amerikanischen Stadtgesellschaft beobachten. Caine wurde groß im Jazz-Amerika der Postmoderne, er hat verinnerlicht, Normen bröckeln zu lassen und mit dem Rest der dekonstruierten Elemente zu spielen. Er tut es noch immer, gemeinsam mit Partnern wie dem Bassisten Mark Helias und dem Schlagzeuger Clarence Penn. Sie lassen sich treiben, heben die Ideen der Songgliederung auf, zerlegen die Musik in rhythmische, motivische, texturelle Bestandteile, ohne sie damit zerstören zu wollen. Manchmal blitzt ein "Just Friends" oder "Cheek To Cheek" dazwischen auf, wiederum nur, um in sich vielfältig variierender Weise in Frage gestellt zu werden.

Das hat manchmal etwas Nüchternes, wie ein Blick durch ein Brennglas auf die Einzelteile sich anbietender Ausdrucksmöglichkeiten. Es erklärt aber auch das Entsetzen gegenüber der drohenden Simplifizierung amerikanischer Kultur. Schließlich ist gerade der Jazz eine Musik, die die Errungenschaften der Vielfalt und Offenheit feiert, die sie sich mit Nachdruck erkämpft hat. Da kann ein Donald Trump nur zum Gespenst, zum Golem werden.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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